Im April startet die Telekom mit StreamOn einen neuen Service, der es einigen Kunden ermöglicht, Musik- und Videostreaming-Dienste von Partnerunternehmen zu nutzen, ohne dabei Inklusiv-Volumen zu verbrauchen. Das ist ein Angriff auf die Netzneutralität, mahnen Verbraucherschützer.
In den USA bietet die Telekom schon längere Zeit eine ganze Reihe von Partnerschaften an, mit der Kunden die Dienste der Partner nutzen können, ohne auch nur ein einziges Bit ihres Datenvolumens zu verlieren. Dieses sogenannte „Zero-Rating“ ermöglicht den Kunden dort bereits seit 2015 neben Apple Music auch Videostreaming-Angebote wie Netflix, Fox oder HBO grenzenlos zu nutzen. Entsprechende Gesetzesentwürfe zur Sicherung der Netzneutralität, wie der Global Online Freedom Act, wurden dort bislang abgelehnt.
„StreamOn“ ab April in Deutschland
Ab dem 19. April ist für einige Nutzer nun auch in Deutschland eine entsprechende Tarifoption verfügbar. Das Audio-Streaming lässt sich für Nutzer eines Magenta-Tarifs ab der Größe „M“ und das Video-Streaming zusätzlich ab Größe „L“ kostenlos hinzubuchen. Ein Segen für viele Deutsche Nutzer, denen im Vergleich zu anderen Ländern nur geringe Daten-Freigrenzen zu hohen Preisen zugesprochen werden. Etwa jeder vierte Nutzer erreicht hierzulande die Grenzen seines Inklusiv-Volumens. Nutzer der Tarifoption müssen jedoch eine Reduktion der Auflösung auf DVD-Qualität in Kauf nehmen.
Neben den abgebildeten Anbietern befindet sich auch Spotify in Gesprächen mit der Telekom. Erst im vergangenen August hatte die Telekom ein Exklusivangebot eingestellt, bei dem die Spotify-Nutzung nicht angerechnet wurde, wenn der Dienst über die Telekom bezahlt wurde. Als Grund für diesen Schritt nennt die Telekom in ihrem Blog eine Vervierfachung des Datenverkehrs nach Einführung der Option, die folglich massive Mehrkosten verursachte. Tatsächlich kassierte die Spotify-Flatrate jedoch massive Kritik, weil sie es schwächeren Konkurrenten noch schwerer machte, sich gegen den finanzstarken Rivalen durchzusetzen.
EU-Verordnung stärkt Netzneutralität
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Hinzu kam die EU-Verordnung 2015/2120, welche am 30. April 2016 in Kraft trat. Darin steht:
Anbieter von Internetzugangsdiensten behandeln den gesamten Verkehr (…) gleich, ohne Diskriminierung, Beschränkung oder Störung, sowie unabhängig von Sender und Empfänger, den abgerufenen oder verbreiteten Inhalten, den genutzten oder bereitgestellten Anwendungen oder Diensten oder den verwendeten Endgeräten.
Sie enthält jedoch gleich mehrere Ausnahmen, mit denen dieses Grundprinzip der Nicht-Diskriminierung ausgehebelt werden kann. Dazu zählen beispielsweise „Spezialdienste, die keine Internetzugangsdienste sind“ und mehr Bandbreite und Störungsfreiheit benötigen als beispielsweise der Versand einer E-Mail. Während die EU-Kommission dabei an künftige Verkehrssteuerungssysteme und Telemedizin denkt, kategorisiert der Vorstandsvorsitzender der Telekom, Timotheus Höttges, auch Videokonferenzen und Online-Spiele als solche Spezialdienste und erwog, Gebühren von den Dienstanbietern für die Übertragung in „gesicherter Qualität“ zu kassieren. „Das klingt – mit Verlaub – nach Schutzgelderpressung,“ urteilte die Zeit damals.
Verschiedene Auslegungen
Tatsächlich obliegt die Konkretisierung der Verordnung den europäischen Regulierungsbehörden und im Streitfall auch den Gerichten. Die Telekom testet mit gezielten Angriffen auf die Netzneutralität ihre Grenzen aus, sieht dich jedoch auf der sicheren Seite: „Wir verletzen hier keine Netzneutralitätsregeln, weil wir alle Interessenten und Partner gleich behandeln“, betonte Telekom-Chef van Damme.
Für den Begriff der „Netzneutralität“ existieren verschiedene Auslegungen. Er wird in der EU-Verordnung nicht explizit genannt. Der Paragraph 41a des Telekommunikationsgesetzes zur „Netzneutralität“ soll lediglich vermeiden, dass Dienste mutwillig behindert werden.
In der Regel wird darunter jedoch die Gleichbehandlung von Daten – unabhängig von Sender, Empfänger, Inhalt und Anwendung – verstanden. Allen Datenpaketen wird also die gleiche Qualität in Bezug auf die Übertragungsrate, Paketverlust und Verzögerung zugesprochen. Unterschiedliche Dienste besitzen jedoch unterschiedliche Anforderungen an die Übertragungsqualität. So benötigen Telefonate beispielsweise nur eine geringe Datenrate, verlangen aber auch nach einer möglichst geringen Paketlaufzeit, um Verzögerungen gering zu halten. Entsprechende Priorisierungen dienen in der Netzwerkverwaltung dazu, Datenstaus zu vermeiden. Daher gibt es daneben auch eine weniger strenge Interpretation des Begriffes, der lediglich voraussetzt, dass gleiche Dienste gleich behandelt werden. Dies entspricht in etwa der Sichtweise der Telekom:
„StreamOn basiert auf einem offenen, diskriminierungsfreien Angebot, an dem jeder [legale] Anbieter von Audio- und/ oder Video-Streaming-Diensten auf Wunsch teilnehmen kann,“ wirbt die Telekom auf ihrer Website.
Der strengeren Interpretation des Neutralitätsbegriffs kann diese Begründung jedoch nicht standhalten, da sich das Angebot auf Audio- und Video-Streaming (der Vertragspartner) beschränkt und damit alle anderen Nutzungsarten, wie Spiele, Filesharing, Texte oder Kommunikation benachteiligt. Auch Video-Anrufe schließt die Telekom in den Nutzungsbedingungen für StreamOn explizit aus und zeigt damit ihre Entscheidungsmacht.
Damit verschafft die Telekom eigenen Diensten wie Entertain TV mobil, Telekom Basketball und Telekom Eishockey einen Vorteil im eigenen Netz. Unerwünschte Dienste wie Videotelefonie oder Kommunikationsdienstleister werden hingegen benachteiligt. So verbot T-Mobile beispielsweise VoIP-Dienste und sperrte 2009 beispielsweise die Nutzung von Skype, um der Konkurrenz günstiger Internet-Telefonie zu entgehen. Offiziell argumentierte der Konzern mit der Leistungsfähigkeit des Netzes, welche durch die Datenverbindungen gefährdet werden könne.
Fazit
Die Telekom testet mit gezielten Angriffen die Grenzen der Netzneutralität und nutzt den Schritt geschickt, um sich als innovativer Anbieter neuer Freiheiten zu feiern und ganz nebenbei eigene Services wie das Entertainpaket zu bewerben. In Wahrheit stärkt sie jedoch ihre bestehende Machtposition, mit der Sie unliebsame Dienste weiter benachteiligt. Mit ausreichend hohen Freivolumen oder gar ungedrosselten Flatrate-Tarifen zu attraktiven Preisen wäre den Kunden besser geholfen.
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