Wir sollten einmal reden. Über Apple. Und die Akkus. Speziell über ältere Akkus. Denn da gibt es ein Problem: Ein verschlissener Akku kann unter Last seine Spannung nicht aufrechterhalten. Wird die Last abgefragt, schaltet das Gerät ab. Soweit, so gut – und Apple hat dafür eine Lösung. Die entwickelte sich aber zu einem Marketing-Stunt. Ich finde die Lösung dennoch cool.
Der Akku, das unbekannte Wesen
Die Aufgabe des Akkus ist es, Strom zu liefern. Wenn Strom im Akku ist, läuft das iPhone. Wenn nicht, muss der Akku geladen werden. Wie viel noch im Akku ist, zeigt ein kleines Batteriesymbol und wenn der Strom knapp wird, gibt es eine Warnung. So kennen wir das und so mögen wir das und so ungefähr funktioniert das auch – wenn der Akku in Ordnung (also neu) ist.
Im Akku finden chemische Prozesse statt und die lassen ihn langsam verschleißen. Die Kapazität nimmt ab und mit ihr auch die Spannung. Tatsächlich ist es nämlich die Spannung, die gemessen wird, wenn man erfahren möchte, wie der Ladezustand ist. Das Problem ist nur: Beides ist nicht linear und nicht berechenbar. Man kann aber einigermaßen zuverlässig schätzen.
Ein verschlissener Akku verhält sich anders
Ist der Akku verschlissen, kann es passieren, dass er seine Nennspannung bringt, bis man „zu viel“ Strom benötigt. Die erforderliche Leistung kann er nicht mehr liefern und die Spannung bricht ein. Da die Komponenten, beispielsweise der Prozessor, eine gewisse Leistung benötigen, müsste theoretisch noch mehr Strom fließen (P = U * I), der aber erst recht nicht verfügbar ist, weil er initial schon nicht geliefert werden konnte. Die Elektronik behilft sich also mit einer Zwangsabschaltung, um Schlimmeres zu verhindern.
Jetzt kann man aber leider nicht vorhersagen, was „viel“ Strom ist und was nicht, d.h. derlei Abstürze kommen aus heiterem Himmel. Das Smartphone wird unzuverlässig (weil es sich nicht automatisch wieder einschaltet). Denn so richtig provozieren (oder verhindern) lässt sich das Ganze nicht, da eine sehr kurze und für sich betrachtet auch nicht sehr hohe Spitze schon genügt, um die Maschinerie in Gang zu setzen – das kann sein, weil man eine App startet, weil die Funkverbindung schlechter wird, weil eine Nachricht empfangen wird oder, oder, oder.
Dieses Verhalten an sich ist nicht neu. Ich habe das beispielsweise schon beim Nokia 3310 beobachtet (ja genau, dem alten, von 2000). Der Akku hat im Standby weiterhin seine Woche durchgehalten, aber wehe dem, man wollte telefonieren. Dann schaltete das Gerät umgehend ab. SMS ging gerade noch so, aber die gab es ja damals auch nicht umsonst. Auch andere Smartphones haben dieses Verhalten.
Apple hat eine Lösung
Apples tolle Lösung besteht nun darin, möglichst zuverlässig zu erraten, ob der Akku schon so weit ist, dass er im Interesse der Stabilität geschont werden muss. Wenn das der Fall ist, dann drosselt iOS (seit iOS 10 auf ausgewählten Geräten) den Prozessor, sodass der Chip auch mit einer geringeren Spannung auskommt und so das Smartphone stabil läuft. Es wurde also eine relativ clevere Lösung für ein Problem gefunden, das sich nach Stand der Technik nicht vermeiden lässt. Dass die CPU heruntergetaktet wird, ist ein Verhalten, das auch anderswo zum Einsatz kommt. Laptops werden ebenfalls gedrosselt, um Strom zu sparen (allerdings nicht in Abhängigkeit vom Akku) und die meisten anderen Prozessoren takten sich herunter, wenn die Kühlung unzureichend ist (etwa weil der Lüfter ausgefallen ist). Die Lösung ist also von der Sache her nicht unüblich und eigentlich auch recht cool – vom technischen Standpunkt her.
Ich weiß, dass in den Kommentarzeilen (auch in unseren) die Lösung sehr unpopulär ist. Denn der Hersteller hat sich nicht an der Leistung nach Kauf zu vergreifen, das sei Bevormundung, bla bla bla. Das mag sicherlich ein Aspekt sein, aber ich würde eher noch eine gesenkte Leistung bevorzugen als ein instabiles System. Zumal die Lösung in beiden Fällen dieselbe ist: Akku wechseln (lassen).
Man hätte auch mal was sagen können
Kommen wir nun zu dem Problem, bei dem Apple leider auf ganzer Linie versagt hat – die Kommunikation. So toll das Feature ist, so wenig wurde es angekündigt. So gesehen hat sich Apple den Shitstorm, der sich in den letzten Wochen über Cupertino breit machte, selbst in die Schuhe zu schieben. Was wäre denn so schwer daran gewesen, eine nicht-ignorierbare Modal-Box einzublenden (wie bei der 20%-Warnung), die darauf hinweist, dass der Akku platt ist und deshalb das Gerät im Schongang läuft? Dann hätte jeder gewusst, woran er ist UND Apple hätte auch noch für 79 Dollar massenhaft Akkus verkaufen können, weil die meisten Nutzer nicht den technischen Sachverstand haben und wie empfohlen zu Apple gehen.
Stattdessen gab es eine Aufregung, die in meinen Augen übertrieben ist, wenngleich ich das Kulanz-Angebot, das daraus resultierte, eine sehr nette Geste finde.
„Apple will neue iPhones verkaufen“
In den Kommentaren (und Sammelklagen) wird Apple vorgeworfen, dieses Feature nur deshalb eingebaut zu haben, weil das Unternehmen neue iPhones verkaufen möchte. Zunächst einmal: Apple ist ein Unternehmen, das darauf angewiesen ist, Produkte oder Dienstleistungen zu verkaufen, weil die Mitarbeiter auch nicht von Luft und Liebe leben.
Davon abgesehen: Dieses Argument ist absurd. Das iPhone 4s hat beispielsweise kein iOS 10 mehr bekommen (und iOS 9 lief, sagen wir, nicht besonders schnell). In Benchmarks gab es hingegen keine Auffälligkeiten, ergo auch keine Drosselung. Es gibt also durchaus einen einfacheren Weg, den Nutzer per ruckelnden Animationen zu einem Neukauf zu bewegen – einfach ein Update so schlecht zu optimieren, dass die Benutzung keinen Spaß mehr macht. Auch ein unzuverlässiges Gerät ist nicht unbedingt die beste Werbung für das Gerät.
Hätte Apple also tatsächlich gewollt, dass der Nutzer in den Apple Store kommt und sich ein neues iPhone kauft, hätten sie auch genauso gut einfach nichts machen können und ihre Geniusse so schulen können, dass sie einen Neukauf empfehlen. Stattdessen haben sie ein Feature implementiert, das es erlaubt, TROTZ eines Hardware-Defekts noch einigermaßen produktiv zu arbeiten. Tatsächlich hätte sich Apple also ins eigene Fleisch geschnitten, wenn es darum ginge, neue iPhones zu verkaufen.
Stattdessen finden wir uns jetzt in der absurden Situation wieder, dass Apple als böse dasteht, nach allen Regeln der Kunst weltweit verklagt wird und die Konkurrenz freudestrahlend damit wirbt, dass ihre Smartphones bei voller Performance abschmieren, wenn der Akku die Spannung nicht mehr liefern kann. Herzlichen Glückwunsch!
34 Gedanken zu „Kommentar: Apple, iPhone, Akku, Drossel – ein cooles Feature und vergeigtes Marketing“
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