Es ist endlich soweit. Die Sparkasse in ihrer Rolle als Finanzurgestein der bargeldliebenden Deutschen hat Apple Pay an die Kreditkartenkunden freigegeben. Mit dieser ‚Weltneuheit’ wird jetzt geprahlt. Und mir rollt es die Zehennägel bis zur Nase hoch.
In diesem Kommentar gehe ich näher auf die Strategie und Außenkommunikation der Sparkassen ein. Es handelt sich um keine Bewertung der grundlegenden Verfügbarkeit von Apple Pay bei den Bankverbänden.
Den Hype verschlafen und stolz darauf
Ich kann mich noch gut erinnern, als der mobile Bezahldienst aus Cupertino nach jahrelanger Wartezeit schließlich auch für das konservative Deutschland angekündigt wurde. Zu dieser Zeit war gefühlt jedes Industrieland mit einer ähnlichen wirtschaftlichen Bedeutung wie die Bundesrepublik bereits längst an Bord der ‚MS Apple Pay‘.
Zum Start im Dezember 2018 war neben Direktbanken wie der comdirect oder Fintech-Startups wie N26 auch die Deutsche Bank als nennenswerte Universalbank und größtes Kreditinstitut (gemessen an der Bilanzsumme) dabei.
Dennoch sind die Volks- und Raiffeisenbanken sowie die Sparkassen im deutschen Bankenwesen nicht zu vernachlässigen, da sie durch ihre enorme Filialpräsenz (vor allem in ländlichen Regionen) eine mehr als solide Kundenbasis vorweisen können.
Somit wurden die Stimmen laut, wann die genannten Bankenverbände bei Apple Pay dabei sein würden.
Auf etliche Nachfragen hin, hieß es, dass man an einer Implementierung grundsätzlich nicht interessiert sei bzw. die technischen Anforderungen aktuell getestet werden müssten. Es ging sogar soweit, dass eine offizielle Forderung an Apple gerichtet wurde, die NFC-Schnittstelle freizugeben, um den Kunden mit Insellösungen wie Kwitt zahlen lassen zu können.
Dass dieser lachhafte Beweis der deutschen Überheblichkeit (z. B. auch im Automotive-Sektor vorzufinden) keinerlei Beachtung seitens Apple fand und von der Internet-Community regelrecht in der Luft zerrissen wurde, muss wohl nicht erwähnt werden.
Kein Schritt vor und einer zurück
Nach langem Hin und Her scheinen die Sparkassen und VR-Banken allerdings erkannt zu haben, dass ihre Digitalisierungsstrategie in Verbindung mit der lausigen IT-Infrastruktur dem angebissenen Apfel nicht ansatzweise gewachsen sind.
Die Forderungen nach Apple Pay bestanden weiter und die Erfolgszahlen der Konkurrenten stimmten das Management vermutlich nachdenklich.
Die Folge: Apple Pay wurde bei beiden Bankenverbänden für das Jahr 2019 angekündigt.
Inzwischen haben die Volks- und Raiffeisenbanken ihr Release auf 2020 verschoben. Zunächst wurde die fehlende Zertifizierung durch Apple als Grund genannt, nun seien es angeblich technische Schwierigkeiten. Wie auch immer… Die Sparkassen haben es zumindest geschafft und Apple Pay zur Verfügung gestellt.
Marketing-Versagen in höchstem Maß
So wird die Marketingschraube nun mächtig aufgedreht. Jegliche Gegenwehr in Richtung Apple wurde abgelegt und es wird nun kein weiteres Kontra mehr gewagt. Ganz im Gegenteil: Die digitale Bezahlmöglichkeit von Apple wird als größter Kundenmehrwert und radikalste Technologieneuheit aller Zeiten gefeiert. Im jüngsten Sparkassen-Spot und den aktuellen Werbeplakaten wird das sehr deutlich:
Apple Pay für den rot-weißen Bankenverbund: „Ganz normal“.
Apple Pay für den Kunden als Bezahlmethode: „Ganz normal“.
Als hätte es nie etwas anderes gegeben.
https://youtu.be/RxIujigTzsM
Im Werbespot sorgen flapsige Sprüche, unzusammenhängende Szenen, die mit der Technologie rein gar nichts zu tun haben und ein… ähh Pinguin für ein seltsames Ambiente. Der (hoffentlich etwas selbstironisch genommene) Spruch „Ich veredle die Produktszene“ und das Schlussbild „Sparkasse mit Apple Pay? Ganz normal.“ sprengen das Fremdscham-Level dann endgültig.
Mir ist klar, dass der Spot ggf. junge Leute ansprechen soll und sich die Bank dabei nicht ganz ernst nimmt. Trotzdem ist das im Hinblick auf das Zurückrudern der „Uns kann keiner – nicht mal Apple“-Strategie mehr als peinlich.
Das machen die zahlreichen YouTube-Tutorials zur Einrichtung und Verwendung in Form von visualisierten PowerPoint-Präsentationen auch nicht besser. Diese kommen aber anscheinend von Apple selbst (danke für den Hinweis).
https://youtu.be/uv34K3kcnyo
Fail again – fail better?
Halten wir fest:
Für mich ist das alles ein weiterer Beweis, dass man aus der anfänglichen Shitstorm-Klatsche der vergangenen Monate nichts – aber auch gar nichts – gelernt hat. Die zuvor angesprochene Überheblichkeit bleibt weiter bestehen, die anscheinende Unfehlbarkeit und Kundennähe wird im Marketing durchgekaut wie ein zäher Kaugummi.
Nach außen möchte man möglichst fresh, jung und kundenzentriert wirken. Im Hintergrund zeigen sich Schwächen in der App-Programmierung, der Nutzerfreundlichkeit von Diensten und den veralteten Prozessen sowie Infrastrukturen. Dass sich die deutsche Privatbankenszene so ihr eigenes Grab schaufelt und keinen Deut gegen die bekannten Direktbanken und Fintech-Startups ausrichten kann, scheint gekonnt überspielt zu werden. Intern ist man sich der Bedrohung hoffentlich bewusst. Die Deutsche Bank zeigt eindrücklich, was alles schiefgehen kann und wie viel auf dem Spiel steht.
Ich bin gespannt, wie sich dieses Dilemma entwickelt, wenn die ersten Nutzerberichte und Geschäftszahlen der Sparkassen einzusehen sind. Auch wie es nach der Anbindung der VR-Banken und Girokartenkunden weitergeht, bleibt abzuwarten.
Wie steht Ihr zur Strategie der Sparkassen und VR-Banken?
80 Gedanken zu „Kommentar: Die Apple Pay-Strategie der Sparkasse: „Ganz normal (peinlich)““
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