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Olympia 2018, Corona und die WM 2022: Wie staatliche Apps uns ausspionieren

In knapp zehn Tagen ist es so weit und das Eröffnungsspiel der FIFA Fussballweltmeisterschaft in Katar wird angepfiffen. Dazu passend müssen die Nationaltrainer nun ihre finalen Kader mitteilen und manch ein Leser überlegt, sich die Spiele vielleicht doch vor Ort anzuschauen. Doch dafür braucht es vorgeschriebene Apps und die tun weit mehr, als den Benutzer nur zu informieren. 

Wer kann solche gigantischen Sport-Events überhaupt noch ausrichten?

Wir können uns natürlich einfach nur empören und darüber schreiben, welche Apps Besucher und Fans ausspionieren. Doch das würde viel zu kurz greifen und das eigentliche Problem nicht erklären. Schauen wir uns einmal die letzten großen Sportevents an und wo diese überwiegend stattfanden bzw. stattfinden und stattfinden werden:

  • Olympische Sommerspiele 2008 in Peking
  • Olympische Winterspiele 2014 in Sotchi, Russland
  • FIFA Weltmeisterschaft 2018 in Russland
  • Leichtathletik WM 2019 in Doha, Katar
  • FIFA Weltmeisterschaft 2022 in Katar
  • Olympische Winterspiele 2022 in Peking (Die Hauptstadt Chinas war die erste Stadt in der Geschichte des olympischen Sports, die beide Olympische Spiele ausrichten durfte
  • Asiatische Winterspiele in Saudi-Arabien 2029

Wir sehen also, dass ein Großteil dieser riesigen Sportevents in Länder vergeben werden, die zwei Gemeinsamkeiten haben: Sie werden autokratisch regiert und sie verfügen – verfügten – über nahezu unbegrenzte finanzielle Ressourcen. Das sind zwei wichtige Informationen, um den Kontext zu verstehen. Denn hierzulande, speziell in Deutschland, haben wir zuletzt solche Events (gerade Olympia) basisdemokratisch abgelehnt und unter anderem die gigantischen Kosten als Hauptgrund für die Ablehnung aufgeführt. Uns geht es nicht darum, ein schlechtes Gewissen zu machen, doch das IOC sowie alle anderen großen Sportverbände müssen sich dringend fragen, ob all die Auflagen, welche die Kosten in die Höhe treiben, überhaupt noch zeitgemäß sind. Warum müssen die hohen Funktionäre vom Hotel in die Sportstätten auf einer dreispurigen Straße chauffiert werden – um mal ein richtig absurdes Beispiel zu nennen.

FIFA-Logo am Hauptquartier

Es führt allerdings im Umkehrschluss dazu, dass sich für solche Sportevents vorrangig Länder bewerben und den Zuschlag bekommen, die finanziell in der Lage sind, solche immensen Investments zu stemmen. Salopp könnte man auch ausdrücken, es kümmert sie wenig, ob eine WM nun 1 Milliarde Euro, 5 Milliarden Euro oder 15 Milliarden Euro kostet – sie haben es einfach. Und hier ist es oftmals so, dass sich die Regierung deutlich einfacher über die Belange der eigenen Bevölkerung hinwegsetzt. Das mag uns zu Recht nicht gefallen, ist aber die bittere Wahrheit. Und weil Länder wie China und Russland damit in der Vergangenheit davonkamen, wird diese Schraube weitergedreht und ins Digitale transformiert. Warum nicht auch Einwohner, Teilnehmer und Besucher via Apps ausspähen?

Teilstaatliche Spionage via Apps mittlerweile allgegenwärtig

Was Anfang der 2000er nur von Nerds und Spinnern befürchtet war, ist heute mehr denn je allgegenwärtig. Staatliche Behörden bekommen immer einfacher Zugriff auf die Daten ihrer Bewohner, Apps sei Dank. Nun könnte man einwerfen, wir überdrehen das Ganze, in Deutschland hält man sich an Recht und Gesetz und das kommt ja nur in China und Nordkorea vor. Weit gefehlt, auch hierzulande ist staatliche Kontrolle durch Apps schon längst etabliert, wenngleich man sich Mühe gibt, es anders zu nennen. Exemplarisch steht in Deutschland, wie auch in Norwegen, die Corona-Pandemie. Die staatliche App „smittestop“ der Norweger wurde direkt nach dem Erscheinen wieder eingestellt – zu groß waren sämtliche datenschutzrechtlichen Bedenken. Diese diente jedoch als Vorlage für die Corona-Warn-App, welche das Robert-Koch-Institut zusammen mit der Deutschen Telekom aus dem Boden stampfte. Hier war jedoch auch recht schnell der Chaos Computer Club involviert und sorgte dafür, dass der Quellcode offen und nachvollziehbar war.

Doch die private Alternative Luca-App, an der unter anderem der Rapper Smudo von den Fanta4 beteiligt war, sammelte fleißig die Daten und legte diese nicht nur zeitweilig unverschlüsselt ab, man machte sich auch zum Handlanger der Strafverfolgungsbehörden. So rückte man bereitwillig personenbezogene Daten zur Aufklärung von Bagatelldelikten wie Diebstählen heraus, obwohl dies gesetzlich untersagt ist. Diese Art von Daten darf nur bei der Ermittlung schwerer Straftaten angefragt werden, dazu zählen Morde oder Terroranschläge. Unter anderem wurde dieser Sachverhalt von der Süddeutschen aufgedeckt. Wir sehen also, es ist kein neues Phänomen und dennoch sind wir entrüstet, weil diese Vorgehensweise sowohl von den katarischen Behörden als auch der FIFA eingesetzt wird.

Diese beiden Apps spionieren euch bei der WM aus

Vielleicht liegt diese Entrüstung auch darin begründet, dass Katar ein muslimisches Land ist, eine teilweise sehr rückständige Rechtsauffassung und ein völlig aus der Zeit gefallenes Frauenbild hat. Immer noch sehr präsent ist der Fall aus 2016 der vergewaltigten Schwedin in einem Luxushotel, die Strafanzeige stellte und anschließend wegen unsittlichen und ungebührendem Verhalten verurteilt wurde. Immerhin gibt es eine aktuelle Anweisung, dass vergewaltigte Frauen in der Zeit der WM nicht angezeigt werden, wie die Blick berichtete. Da kann die FIFA zu Recht behaupten, Katar habe Fortschritte erzielt.

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Aber die FIFA ist kein Deut besser, denn ihre offizielle FIFA-WM-App bietet weit mehr als nur das Ticket: Sie fordert vollen Spei­cher­zugriff, ortet den Aufent­haltsort des Smart­phones und über­wacht dessen Netz­werk­ver­bin­dungen. Der öffent­lich-recht­liche norwe­gische Rund­funk NRK beschreibt die Funk­tio­nalität der beiden Apps mit den Worten, es sei vergleichbar damit, dem Land Katar die eigenen Haus­schlüssel zu über­geben. Denn in der WM-App wird auch die Hayya-Card verwaltet, die zunächst sogar auch für alle Zugänge in öffentlichen Gebäuden vorgezeigt werden sollte. Das haben die katarischen Behörden inzwischen etwas abgeschwächt, sie muss nur noch bei Apotheken, Ärzten oder Krankenhäuser verpflichtend vorgezeigt werden. Allerdings protokolliert die Hayya-Card alle Netzwerkverbindungen sowie den Standort.Da wäre dann noch die App Ehteraz, die im Prinzip wie die Corona-Warn-App gestaltet ist. Allerdings hat sie einen Komplettzugriff auf das Smartphone.

Ehteraz-App

In Echt­zeit werden die Stand­orte der Nutzer sowie das vollständige Adressbuch und alle E-Mail-Clients erfasst, Blue­tooth- und WLAN-Verbin­dungen werden in einer zentralen Daten­bank gespei­chert und kein Mensch weiß, was mit diesen Daten passiert. Wer hat darauf Zugriff? Wie lange werden sie gespeichert? Wofür werden sie konkret verwendet? Nicht wenige Menschenrechtsorganisationen befürchten, dass darüber Menschen aus der LGB-Community ausfindig gemacht werden sollen. Auch Kritiker der Herrscherfamilie könnten so identifiziert werden. Unter anderem Amnesty International warnt eindringlich vor der Nutzung der App, welche allerdings bereits seit 2020 für jeden Einreisenden über 18 Jahre verpflichtend ist.

Eigentlich hilft nur ein Boykott

Wie eingangs erwähnt, wollen wir keine moralische Debatte vom Zaun brechen oder jemandem die Schuld zuweisen. Und wer nach Katar zur WM fliegen möchte, darf dies gerne tun. Es ist ein schönes Stückchen Erde, mit wirklich beeindruckenden Bauwerken und einer spannenden Kultur. Zudem ist Katar ein Land, welches für diesen Teil der Erde überraschend pro-westlich ist. Man sollte sich allerdings nur ein einfaches Smartphone zulegen und keinerlei persönliche Daten darauf abspeichern. Und trotz all der genannten Details wäre es zu einfach, Katar zu verurteilen. Sie haben sich, wenn auch mit einer schwachen Bewerbung, erfolgreich um die Ausrichtung der WM  bemüht. Wenn wir ehrlich zu uns sind, dann sind wir als Konsumenten und die Verbände das eigentliche Problem, wie eingangs angeklungen. Wir selbst müssen uns fragen, ob das nächste sportliche Mega-Event noch größer, noch spektakulärer sein muss. Wenn wir das verneinen, hilft nur ein konsequenter Boykott von TV und jeglicher Berichterstattung. Damit strafen wir allerdings diejenigen, die für diese Shows essenziell sind – nämlich die Sportler. Für nicht wenige Länder und teilnehmende Athleten wird die eine Teilnahme an einer WM oder den olympischen Spielen der eine Höhepunkt ihrer sportlichen Karriere sein, ohne ernsthafte Chancen auf den Gewinn des Titels oder eine Medaille zu haben. Übrigens, die verlinkte Doku besteht aus vier Teilen und ist qualitativ. Alternativ empfehlen wir noch die nachfolgend verlinkte Doku von ARTE:

https://www.youtube.com/watch?v=aEp8O7ezNvc

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Patrick Bergmann
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2 Kommentare zu dem Artikel "Olympia 2018, Corona und die WM 2022: Wie staatliche Apps uns ausspionieren"

  1. Veräppler 13. November 2022 um 11:03 Uhr ·
    Ich sag es mal ganz ehrlich aus dem Bauch heraus: Schei.. auf diese WM!
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  2. WolfgangD. 14. November 2022 um 14:43 Uhr ·
    Ihr solltet generell euer Verhalten zum Wettbewerbssport (und Arbeitsleben) ändern, sonst bleibt alles Gutmenschentum wie bisher eine bloße Maskerade zum eigenen Wohlfühlen. Analog zum Greenwashing der Unternehmen, aber Arbeitskraft dennoch gnadenlos ausbeuten. Oder man bekennt sich dazu, auf solche lokalen Besonderheiten wie „Hassrede“ zu verzichten und Anderartigkeit (auch in der Regierungsform) anzuerkennen, statt dauernd zu missionieren. Verstanden? Ist doch soooo einfach. „Menschenrechte“ existieren schliesslich nur solange, wie jemand zur Durchsetzung derselben existiert. Topic: Ich wäre somit froh, wenn die TV Medien uns von länglichen langweiligen Übertragungen wo 22 Leute einem Ball nachlaufen, einfach mal verschonen. Ob jetzt Zwangsapps in ganzweitweg verordnet sind – Sack Reis fällt in Asien um. Zwingt mich doch keiner, da hin zu reisen? Wer unbeding reisen will, der muss eben konsequenter auch „B“ sagen. Und das Gejammer unterlassen, Doppelzügigkeit ist öde.
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