Apple hat gestern auf seiner Entwicklerkonferenz vor allem konsequente Weiterentwicklungen der vier Betriebssysteme tvOS, watchOS, iOS und macOS präsentiert. Die größte Neuerung war aber keine neue Funktion, sondern ein Umdenken in Apples Software-Politik, die uns in naher Zukunft eine ganze Reihe neuer Möglichkeiten eröffnen dürfte. Kernfunktionen wie Siri, Maps und iMessage sind erstmals für Programmierer geöffnet.
Kommentar von Marcel Gust: Ich erinnere mich noch, wie beeindruckt ich war, als ich zum ersten Mal mit Siri sprach – damals war die Sprachassistentin noch eine der Innovationen –, doch die Enttäuschung folgte auf dem Fuße, als ich sie darum bat, eine eingehende WhatsApp-Nachricht vorzulesen oder zu verschicken. Mit diesem Befehl stieß ich an die Grenzen des bisher Möglichen – schließlich ist WhatsApp eine Drittanbieter-App. In den folgenden Jahren hatte sich an der Situation nichts geändert: Apple beharrte stur auf einem geschlossenen System und hat dadurch Siris Führungsposition verspielt. Inzwischen gibt es mit Googles Now oder Microsofts Cortana Alternativen, die Anfragen besser verstehen und beantworten. Von den Möglichkeiten von Amazons Echo, das seit seinem Start im letzten Jahr über 1.000 Drittanbieter-Dienste integriert hat, ganz zu schweigen.
Ähnliches gilt für iMessage, eine App, die ich sehr zu schätzen weiß, die jedoch mit Android-Geräten nur mittels SMS kompatibel ist. Wer keine SMS- und MMS-Flatrate hat, setzt lieber auf alternative Dienste, die zudem oft mit weiterführenden Funktionen, wie sich selbst zerstörenden Nachrichten, Face-Filtern, Geldtransfer oder einfach nur Stickern aufwarten können. Facebook experimentiert inzwischen sogar mit einem möglichen Zukunfts-Trend: Chatbots.
Apples Karten sind hingegen sogar beliebter als die frühere Standard-App von Google. Eine enge Integration von Drittanbieter-Diensten wie beispielsweise Yelp-Bewertungen ist hier besonders wichtig, da Karten oft in Verbindung mit einer Kaufabsicht genutzt werden: Man sucht nach einem Café, einem Restaurant, einem bestimmten Geschäft oder nach einer Transportmöglichkeit zum nächsten Ziel.
Mit iOS 10 können Entwickler ihre Apps in Zukunft per Siri steuern lassen. Per Siri das Workout in der Fitness-App starten und pausieren, über die Sprache eine WhatsApp versenden, mithilfe von Siri eine Pizza bestellen, ganz einfach das Taxi ordern, die ToDos abhaken und anlegen, den Dritt-Kalender verwalten, die Sportnachrichten lesen, die Fernbedienung ersetzen, in der Mediathek stöbern oder gar shoppen. Jetzt sind die Entwickler gefragt – sie können nun das Optimum aus Siri herausholen.
Auch der Funktionsumfang von iMessage und den Apple Maps lässt sich nun von Entwicklern erweitern. Hier sind die Möglichkeiten ebenfalls grenzenlos. Vom direkten Sprung in das Buchungssystem verschiedener Transport-Dienste bis hin zum Übertragen von Geld per iMessage.
Der Gefahr, dass sich Konkurrenten wie Google, Facebook und Amazon tief in fundamentale iOS-Funktionen festhaken, ist sich Apple sicher bewusst – doch vielleicht gibt es auch einen Weg für Apple, vom Erfolg der Konkurrenz zu partizipieren: Denkbar wäre z.B. eine Beteiligung an den Werbe-Einnahmen, wenn jemand Snapchats Facefilter in iMessage benutzt oder ein Restaurant via Yelp in Apple Maps reserviert. Wenn es gelingt die Transaktionen, die über Siri, Maps und iMessage abgeschlossen werden, so effektiv zu monetarisieren wie es bereits im App Store geschieht, könnte sich die Öffnung nicht nur für die Kunden, sondern auch für Apple rentieren.
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