Apple TV+ ist jetzt seit zwei Tagen mit seinen ersten Serien am Markt und wir haben das Wochenende genutzt und uns einen ersten Eindruck von den ersten Originals zu verschafft, die Apple seinen Kunden anbietet. Sind sie gelungen und eignet sich etwas vom neuen Serien-Content zum Netflix-Killer? – eine Betrachtung von Valentin Heisler und Roman van Genabith.
Apple TV+, das ist eine Geschichte mit einer sehr langen Vorgeschichte. Wenn ich anschließend alle Beiträge auflisten würde, in denen wir in den letzten Jahren über dieses Projekt von Apple berichtet haben, würde eine so lange Liste entstehen, das kein Platz mehr für Text bliebe. Gut, das ist vielleicht leicht übertrieben, aber tatsächlich spekuliert die Branche schon geraume Zeit über den neuen Streamingdienst und im Laufe dieser Zeit hat sich eine immense Erwartungshaltung aufgebaut. Diese Entwicklung wurde teils auch von Analysten befeuert, so wie neulich, als man bei Morgan Stanley Apple TV+ einen jährlichen Erlös von neun Milliarden Dollar binnen fünf Jahren zuschrieb.
Es ist schwer, eine so hoch gesteckte Messlatte zu überspringen. Aber wie sind sie denn nun, die neuen Originale?
Die Geschichten
Gedanken von Roman
Ich habe noch nicht in alle Originals reingeschaut, aber von „The Morning Show“, „SEE“ und „For All Mankind“ habe ich jeweils die erste Folge gesehen, „For All Mankind“ hat mich als einzige Serie motiviert, im Anschluss noch die zweite und dritte Folge anzuschauen.
Wie das bei Pilotepisoden oft der Fall ist, sind die Episoden lang, jeweils gut eine Stunde. Auch die bisher verfügbaren weiteren Folgen kommen auf eine ähnliche Länge. Das gibt den Machern viel Zeit, die Geschichte und ihre Protagonisten zu entwickeln, Zeit, die aber nur mäßig gut genutzt wird.
Nehmen wir etwa „The Morning Show“. Die Besetzung ist prominent: Mit Reese Witherspoon, Jennifer Aniston und Steve Carell in den Hauptrollen wird eine Morgensendung skizziert, die ihre besten Zeiten hinter sich hat. Als Alex Levy plötzlich ohne ihren langjährigen Kollegen zurecht kommen muss, der nach Vorwürfen aufgrund sexuellen Fehlverhaltens aus der Sendung gedrängt wird, entspinnt sich eine von Konfusion geprägte Suche nach einer neuen strategischen Ausrichtung der Show.
Pluspunkt: Hier wie auch bei „For All Mankind“ haben sich die von Apple beauftragten Studios Plots einfallen lassen, die den Zuschauer nicht so sehr mit sinnverwirrenden Szenenwechseln und plötzlichen Wendungen entnerven, wie das seit einigen Jahren bei vielen Serien-Neustarts zu beobachten ist. Die Handlung entwickelt sich mit überschaubarem Tempo, kommt aber dennoch nicht ohne die ein oder andere seltsame Szene aus, so etwa der Besuch von Alex Levy im Haus des ausgebooteten Ex-Kollegen. Das mutmaßliche Ziel der Produzenten, ein ambivalentes Verhältnis zwischen zwei langjährigen Kollegen und Freunden zu zeigen, hat eine durch und durch verstörende Szene erzeugt.
Allgemein agieren die Schauspieler in ihren Handlungen und Dialogen übertrieben und wirken oft etwas hysterisch. Klar ist auch: „The Morning Show“ zielt auf ein amerikanisches Publikum ab und das merkt man etwa an der Machart der fiktiven Show und der Ansprache des Publikums. Die angeschnittene „MeToo“-Thematik ist noch immer aktuell, hier werden die weiteren Folgen zeigen müssen, welche Message „The Morning Show“ vermitteln will.
Die erste Folge hat ihre Momente, wenn es auch wenige sind. Stark ist sie etwa dann, wenn die Ziele eines guten Journalismus angesprochen werden. Das Dilemma der Moderatoren, zwischen solider Berichterstattung, den Zwängen des Tagesgeschäfts und einer vorgegebenen Linie abwägen zu müssen, wird überzeugend dargestellt. Hiervon gibt’s im Weiteren hoffentlich noch mehr, denn die kleinen persönlichen Dramen der Protagonisten sind ermüdend.
Das zeigt sich bei „For All Mankind“ leider ebenfalls: Auch hier werden eindeutig amerikanische Verhältnisse skizziert. Das kann man der Serie nicht zum Vorwurf machen, man muss sich nur darüber klar sein, dass hier die Realität der 60er-Jahre gezeigt wird. Die Erforschung des Weltraums ist in der Hauptsache vom Kalten Krieg und einem unversöhnlichen Ringen um Ideologien getrieben. Die Protagonisten agieren mit dem glühenden Patriotismus, der Amerikaner in dieser Zeit wohl tatsächlich auszeichnete. Frauen im Raumfahrtprogramm sind inzwischen schon längst keine Top-Schlagzeile mehr, für die damalige Zeit aber wäre eine Frau auf dem Mond eine Sensation gewesen. Fraglos kommt es auch nur aufgrund politischer Erwägungen dazu, dass schließlich auch weibliche Astronauten ausgebildet und trainiert werden. Das wirkt auf uns heute unsympathisch, ist aber authentisch umgesetzt.
Und „SEE“ – nun, das ist eine Sache für sich. Eine Welt, in der alle Menschen blind sind und die Gesellschaft in die Primitivität zurückgefallen ist. Dennoch geht es heftig zur Sache, die in Stämmen und dörflichen Strukturen lebenden Menschen schlagen sich mit Wonne die Schädel ein und zwischen Kampf und Tod kommen zwei sehende Babys zur Welt. Wer sich gern mit ein wenig Splatter zerstreut und heldenhafte Kriegerfiguren mag, könnte „SEE“ ganz gut laufen lassen. Allzu viel Tiefgang oder komplexe Handlung braucht man nicht zu fürchten, bekommt dafür aber eine ordentliche Dosis Absurdität und hier und da schräge Szenen.
Die Technik
Apple TV+ läuft auf iPhone, iPad, dem Mac und Fernsehern verschiedener Hersteller. Die TV-App unter iOS gibt die Folgen anstandslos und flüssig wieder. Kein Ruckeln, keine Aussetzer, hier hat Apple den Start nicht so vermasselt wie bei Apple Music vor Jahren.
Außerdem habe ich die Apple TV-App auf einem Samsung-Smart TV von 2018 ausprobiert. Die Einrichtung flutscht mit Aktivierungs-Code zügig und problemlos, die App stellt sich anschließend so ähnlich dar wie am iPhone und iPad und hier ergeben sich erste Schwächen: Wie schon von anderen Testern bemängelt, vermischt Apple die Apple-Originals mit allem, was sonst noch so in der TV-App herumschwirrt. Nur mit Klick auf „Entdecke Apple TV+“ lässt sich die Ansicht auf die Original-Serien beschränken.
Außerdem merkt sich die TV-App die Abspielposition nicht zuverlässig. Manchmal springt die App so einfach zu Beginn einer Folge, das machen Netflix und Amazon seit Jahren zuverlässig besser. Geräteübergreifende Synchronisierung der Abspielpositionen sucht man ebenfalls vergebens, etwas schade, da ein vermeidbares Problem.
Zudem hakte die Wiedergabe bei meinen Tests auf dem Samsung-Fernseher häufiger und die App musste mehrere Male für eine oder zwei Sekunden zwischenpuffern, das lässt sich hoffentlich durch serverseitige Optimierungen beseitigen.
Alles in allem ist die technische Umsetzung zum Start robust mit noch etwas Luft nach oben.
Visuelle Umsetzung
Gedanken von Valentin
Hier möchte ich nochmal im Detail auf die Darstellung der einzelnen Serien eingehen, da wir bei allen drei Piloten von völlig anderen Settings sprechen.
Gleich zu Beginn möchte ich auf die starke Inspiration durch „Game of Thrones“ hinweisen, die mir bei „SEE“ sofort aufgefallen ist. Denn es fällt direkt die rustikal-triste Machart auf, welche die Handlung passend umspielen soll. Wir sehen hauptsächlich eher dunkle Szenarien in verregneten Wäldern oder Höhlen. Mir persönlich verdirbt das immer relativ schnell die Laune, an der Serie festzuhalten. Auch wenn die Vorkommnisse schon prinzipiell weniger freundlich sind, darf auch ruhig etwas mehr Sonne scheinen. Entgegen dessen finde ich die Kostüme bei „SEE“ eigentlich gut gemacht, wenn auch teils etwas eintönig. Auf jeden Fall wurden sich spannende Konzepte ausgedacht, wie die Kleidung und Kriegsausrüstung von ‚wild-lebenden‘ Blinden aussehen könnte. Da es die bisher einzige Serie mit (vielleicht etwas zu viel) Action ist, wird auch an Stunts und Special Effects nicht gespart. Schön finde ich, dass letztere nicht unbedingt an der Grenze zum Unrealistischen kratzen. Wir reden aber auch nicht von einem Marvel-Film mit explodierenden Raumschiffen. Eine rollende Felswand macht aber so einiges her.
Reisen wir in der Weltgeschichte zurück. Bei „For All Mankind“ geht es visuell etwas weniger rasant zur Sache. Stattdessen finden wir jede Menge 60er-Jahre-Flair in Form von kultigen Sportwagen, heiteren Gesangsorgien und einer Vielzahl an alkoholhaltigen Bar-Aufenthalten. Zusammen mit den passenden Outfits und den detailverliebten Einrichtungen der Häuser, Wohnungen, Büros und Einsatzzentralen kann ein wirklich authentisches Setting geschaffen werden. Allein die gezeigten Ausschnitte der ikonischen TV-Nachrichten sowie Raketenstarts oder die alternativ abgedrehte Mondlandung schaffen genau den richtigen Mood für diese Serie.
Nun noch einige Worte zu „The Morning Show“: Nicht nur hat Apple bei diesen Episoden auf eine erstklassige Besatzung gesetzt, auch wirkt das Drama visuell am meisten ausgeglichen. Selbstverständlich liegt das größtenteils daran, dass das Setting im New York von Heute spielt und der Zuschauer nicht erst völlig neu abgeholt werden muss. So wirken Szenarien und Handlungsweisen vertraut, was von der bildlichen Umsetzung verstärkt werden soll. Nichtsdestotrotz werden wir hin und wieder von einem Übermaß an Extravaganz und Luxus überhäuft – teure Kleider, Limousinen, fette Villen und eine überschwängliche Studioausstattung. Ich denke, dass das die Realität des US-Showbiz ziemlich passend widerspiegelt. Ach ja, wir können nun endlich die zahllosen Fragen zum Thema ‚Product Placement‘ beantworten: Da wird nicht gespart! Allein die ersten drei Szenen handeln von nichts anderem als klingelnden iPhones mitten in der Nacht. Daraufhin folgt das genüssliche Schlürfen von RedBull und illy-Kaffee. Einige der Kameras sind von Panasonic, es wird laufend von Twitter gesprochen und ein Plakat von „Lion King“ habe ich auch noch irgendwo gesehen. Bitte nicht falsch verstehen: Das alles macht die Handlung um einiges ehrlicher und realistischer. Die bekannten Namen und angesprochenen Produkte schaffen einfach ein vertrautes Umfeld. Dennoch würde mich ernsthaft interessieren, inwieweit es tatsächlich bezahlte Product Placements sind oder es nur der Authentizität der Story dient.
Abschließend möchte ich noch eine Sache erwähnen, die mich in der visuellen Umsetzung enorm stört, technisch aber zu lösen wäre. Und zwar spreche ich von den unnötig langen Intros. Beispielsweise vergehen bei „The Morning Show“ rund drei Minuten, bevor überhaupt die Ansätze der Handlung beginnen. Und der „Intro überspringen“-Knopf fehlt schlicht und ergreifend. Dieser muss dringend ergänzt werden, weil ich es bereits nach insgesamt neun Folgen leid bin, manuell vorzuspulen.
Fazit
Die ersten Apple-Originals liefern ordentliche Unterhaltung. Wie ausgereift die Geschichten letztlich werden, lässt sich nach Abschluss der ersten Staffeln besser einschätzen. Zumindest von den hier besprochenen drei Serien hat Apple schon jeweils eine zweite Staffel bestellt.
Netflix-Killer haben wir nicht gesehen. Speziell bei „The Morning Show“ bleibt abzuwarten, ob sich die dem Vernehmen nach recht hohen Produktionskosten für Apple lohnen werden. Die technische Umsetzung braucht ebenfalls noch ein wenig Tuning. Stockendes Playback oder fehlende Skip-Intro-Buttons sind nicht zeitgemäß, hier wird sich hoffentlich zeitnah noch etwas tun.
26 Gedanken zu „Apple TV+ angeschaut: Unsere Eindrücke zu den Originals“
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