Google ist für viele ein unumstößlicher König auf dem Schachbrett des Internets. Doch auch die größten der Branche müssen ihr Kerngeschäft fortwährend verteidigen und die nächsten Züge ihrer Gegner abschätzen, wenn sie langfristig bestehen wollen. Oft verschleiern verwirrende Geschäftsbeziehungen die zugrunde liegenden Strategien der Unternehmen, doch Apples Absicht, Googles Haupteinnahmequelle abzudrehen, ist ziemlich klar, wie Cyrus Radfar auf TechCrunch analysierte.
Seiner Meinung nach eröffnet sich gerade der Blick auf eines der spannendsten Unternehmens-Schachpartien und Apple benötigt nur noch vier Züge, um Googles König – die Suche – Schach zu setzen.
Apples „Such-Steuer“
Das Unternehmen Oracle klagt schon seit Jahren um eine Gewinnbeteiligung an Googles Mobil-Betriebssystem Android. Hintergrund: Der Suchmaschinengigant soll Oracles Open-Source-Programmiersprache Java für die Entwicklung verwendet haben. Im Rahmen dieses Prozesses sind zu Beginn des Jahres Informationen bekannt geworden, die Google lieber unter Verschluss gehalten hätte. Demnach zahlt Google jährlich über eine Milliarde US-Dollar an Apple um die Standard-Suchmaschine in Apples Safari-Browser zu bleiben. Zusätzlich erhält Apple vermutlich eine Umsatzbeteiligung von 34 Prozent.
Das klingt viel, doch Radfar rechnet gegen:
Inzwischen stammt über die Hälfte der Suchanfragen von Mobilgeräten – Tendenz steigend. Unter Berufung auf Berichte an die US-Börsenaufsichtsbehörde schätzte Goldman Sachs den Umsatz aus der mobilen Suche im vergangenen Jahr auf rund 11,8 Milliarden Dollar. 75 Prozent davon – also etwa 8,85 Milliarden Dollar sollen dabei auf iOS-Geräte entfallen. Der Großteil der iOS-Nutzer dürfte dabei auf den Safari-Browser setzen. Geht man davon aus, dass die Hälfte der iOS-Nutzer Google deshalb verwendet, weil es der Standard-Suchanbieter in Safari ist, dann beträgt der Wert dieses Deals für Google noch immer 4,4 Milliarden Dollar.
In Verbindung mit der Gewinnbeteiligung gewinnt Apple also über 4 Milliarden Dollar damit, die vermutlich beste Such-Lösung als Standard anzubieten. Das sind mehr als 6 Prozent von Googles Gesamt-Umsatz im Jahr 2014 in Höhe von rund 66 Milliarden Dollar. Apples Werbebudget lag in dem Jahr bei nur einer Milliarde und stiegt 2015 auf 1,8 Milliarden. Man könnte also sagen, Google finanziert Apples Marketing, so wie die Tabaksteuer Anti-Rauch-Kampagnen finanziert.
Apple steht für Privatsphäre und gegen gezielte Werbung
Apple verfolgt eine eindeutig andere Philosophie, als die zumeist werbefinanzierte Konkurrenz. Tim Cook fasst dies in der öffentlichen Datenschutz-Erklärung wie folgt zusammen:
„Unser Geschäftsmodell ist sehr geradlinig: wir verkaufen großartige Produkte und erstellen keine Profile, basieren auf dem E-Mails-Inhalt oder dem Online-Suchverhalten unserer Kunden, um diese anschließend an Werbetreibende zu verkaufen. […] Unsere Software und Services wurden konzipiert, um unsere Geräte besser zu machen. Klar und einfach.“
Damit schießt er direkt gegen alle werbefinanzierten Unternehmen, wie Google, Facebook oder auch Twitter. In Googles Ideal von der Zukunft, sind Geräte fast vollständig auf die Cloud angewiesen. Die Verarbeitung von Daten in der leistungsstarken Cloud machen enorme Leistungen auch auf schmalbrüstigen, günstigen Geräten möglich, doch sie setzen auch eine sehr gute Internetverbindung und enormes Vertrauen in die Sicherheit der Daten voraus.
Apple ist der größte Widersacher auf diesem Gebiet. Das Unternehmen betont bei jeder Gelegenheit, dass die lokale Datenverarbeitung privat und sicher ist. Die lokale Speicherung der Fingerabdrücke für TouchID ist beispielhaft für dieses Vorgehen, doch auch bei der Vorstellung der Gesichtserkennung, auf seiner Entwicklerkonferenz WWDC im vergangenen Monat, wurde der Fokus erneut auf die lokale Verarbeitung gesetzt.
Universelle Suche gegen Spezialisten
Google versucht, möglichst viele Suchanfragen zu erhalten. So wundert es kaum, dass die Suchleiste auf Android-Telefonen prominent über allem anderen thront und auch der Sprachassistent auf Google setzt. In Chrome und anderen Browsern ist Google außerdem die Standard-Suche bei Eingaben innerhalb der Adresszeile. In den vergangenen 18 Jahren hat es die Nummer eins perfektioniert, die Intenton des Suchenden zu erraten: Sucht jemand beispielsweise erst nach „Tesla“ und anschließend nach „Jaguar“, erhält er auf seine zweite Anfrage mit größerer Wahrscheinlichkeit Ergebnisse, die sich auf den Auto-Hersteller beziehen und nicht auf das Tier.
Doch die Nutzer verlassen sich immer weniger auf den allwissenden Helfer. Vertikale Suchanfragen bei kontextabhängigen Spezialisten nehmen hingegen stetig zu: Video-Tutorials sucht man direkt auf YouTube, Produkte auf Amazon, Personen auf Facebook und Restaurants auf yelp.
Die vier Züge
Die Zukunft eines Produktes oder einer Firma lässt sich leicht vorhersehen, wenn es um die konsequente Weiterentwicklung des Produktes oder einen bedeutenden Funktionsunterschied zu einem Konkurrenten geht. In Apples Fall ist die Frage laut Radfar nicht was, sondern eher wann.
Erster Zug: Apple Pay in the Web
Auf der WWDC 2016 hat Apple bereits den ersten Schritt getan und angekündigt, dass Apple Pay ab Herbst Kurs auf’s Neuland nimmt. Es ist anzunehmen, dass die Funktion aus Datenschutzgründen nur im Safari Browser verfügbar sein wird. Mit diesem Alleinstellungsmerkmal könnte Safari zum ersten Mal Marktanteile von Chrome gewinnen.
Zweiter Zug: Single Sign-On
Doch auf der WWDC deutete dich noch ein zweiter Schachzug an: Die Zahl der Video-Kanäle auf dem Apple TV der vierten Generation ist von der Präsentation bis zur WWDC – also in unter einem Jahr – von anfangs 80 auf nun 1.300 gestiegen. Das klingt erstmal toll, bis man sich vorstellt, sich bei jedem davon einzeln einzuloggen, um Zugang zu den Inhalten zu bekommen – eine nicht zu unterschätzende Eintrittsschranke. Apple stellte daher Single Sign-On (SSO) vor – eine Funktion, die alle Zugänge bündelt, sodass man sich nur noch ein Mal auf seinem Apple TV anmelden muss.
Gleichzeitig wurden viele Funktionen, wie der Messenger, Apples Maps und Siri für Entwickler geöffnet. Apple hat verstanden, dass die eigenen Services noch besser werden können, wenn Entwicklern die Werkzeuge dazu zur Verfügung gestellt werden.
In Zukunft könnte Apple SSO auch auf iOS migrieren und folglich auch mit dem Internet verbinden. Damit könnte Apple TouchID ins Web bringen und wäre nicht nur ein ernstzunehmender Konkurrent zum Login mit Facebook oder Google. Das Feature könnte auch die Nutzung des Safari-Browsers für eine sichere Nutzung voraussetzen und Chrome damit weitere Marktanteile abringen.
Dritter Zug: Neue Sprachkommandos für Siri
Neue Sprachkommandos für Siri wurden uns auf der WWDC ebenfalls präsentiert. Zunächst werden nur Anbieter aus den Bereichen, Nachrichten-Versand, Fahrzeug-Buchung, Training, Bezahlmethoden und Foto-Suche sowie die Regulierung der Temperatur für HomeKit und die Steuerung des Radios für CarPlay ergänzt – Bereiche, die Google eher weniger betreffen dürften. Doch bald könnte Apple auch andere Bereiche ergänzen, die Google stärker zusetzen dürften – insbesondere deshalb, weil sie vertikale Suchen vereinfachen:
- lokale Suchen: Yelp und Apple Mas als Standard
- Geschäftliche Suchen: LinkedIn
- Personensuche: Facebook, LinkedIn, Kontakte
- Nachrichtensuche: Apple News
- Produktsuche: Amazon
- Reisen: Expedia etc.
Apple könnte bestimmte Apps dabei (gegen Gebühr) als Standard setzen oder den Nutzer via Sprachbefehl entscheiden lassen, in welcher App der Befehl umgesetzt werden soll. Je mehr Suchanfragen Siri auf diese Art beantworten kann, desto weniger Anfragen landen bei Google – die Vormachtstellung wäre in großer Gefahr.
Vierter Zug: Inhaltsblocker und mehr native Inhalte
Die Leichtigkeit, mit der man via Apple Pay zahlen oder sich mittels TouchID und SSO überall einloggen kann, könnte den Marktanteil des Safari-Browsers – und damit auch Apples „Such-Steuer“ deutlich steigern.
Besonders gefährlich wird es für Google dann, wenn Apple standardmäßig einen eigenen Inhalts- und Werbeblocker in seinen Browser integriert. Die Nutzer haben bereits jetzt die Möglichkeit, manuell Erweiterungen zum Blockieren von Werbung und Inhalten zu installieren. Auch die Identifizierung eines Gerätes über die Mac-Adresse oder mittels Cookies wurde von Apple bereits aus Datenschutzgründen stark eingeschränkt.
Radfar glaubt, Apple halte sich bisher nur zurück, um Inhalts-Anbietern nicht die Chance zu nehmen, Ihre Arbeit zu monetarisieren. Vermutlich setzt Apple auf eine privatsphäre-freundliche Alternative, wie die bereits existierenden iAds oder neue kreative Formate. Radfar hofft außerdem auf neue Anreize der Verbreitung und Vergütung von Verlagen für Inhalte, direkt in Apple News.
Gewinn-Strategien
Apples Strategie besteht nicht in einem schnellen Sieg über Google. Stattdessen minimiert Apple langsam Googles Möglichkeiten, im Apple-Ökosystem große Gewinne mit Werbung zu erzielen. Google hat in Berichten an die US-Börsenaufsicht selbst zugegeben, dass das eigene Kerngeschäft – Suchanfragen – in Gefahr ist und investiert viel Kapital in Wearables, selbstfahrende Autos und ähnliches.
Beim Schach wechseln sich die Parteien jedoch Zug um Zug ab. Google wird nicht einfach zusehen, wie der eigene König geschlagen wird. Neue Möglichkeiten in der Siri API wird Google ebenso wahrnehmen, wie alle anderen Entwickler. Das betrifft nicht nur allgemeine Suchanfragen – auch Googles eigene Apps, wie der Google Kalender oder Google Maps würden dadurch begünstigt. Und auch Google könnte den Schritt wagen, die Legitimation via Fingerabdruck über das bereits bestehende Google-Sign-In ins Web zu bringen. Der Dienst verfügt bereits über mehr als eine Milliarde Nutzer und auch viele Android-Geräte besitzen bereits einen Fingerabdruck-Sensor. Samsung Geräte haben eine solche Funktion bereits im nativen Browser integiert und mit Apps wie LastPass oder 1Password lässt sich die Funktionen bereits nachbilden.
Fazit
Radfar betont, das seine Einschätzung hoch spekulativ ist. Künftige Trends richtig einzuschätzen ist eine der wichtigsten Aufgaben für die großen Technologie-Konzerne, denn jede Technologie steht auf einem wackeligen Fundament und wartet nur darauf, unweigerlich ersetzt zu werden. Ob die Zukunft genau so eintritt, wird sich zeigen, doch es beweist, das es nicht unmöglich ist, einen Riesen wie Google Schach – oder gar Schach matt – zu setzen.
25 Gedanken zu „Wie Apple Google und der Online-Werbung schaden könnte“
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