In den letzten Wochen hat Facebook, das mit Abstand größte Social Network der Welt, mal wieder ein bisschen schlechte Presse bekommen. Genervt von den zahlreichen Skandalen der letzten Monate und Jahre sage ich: Es reicht.
Dinge, gegenüber denen ich keine Erwartung mehr habe, können mich nicht enttäuschen oder wütend machen – dachte ich. Dann kam das Wochenende und eine Reihe von Tweets des Emojipedia-Betreibers Jeremy Burge, die mir das Gegenteil bewiesen haben. Das Unternehmen von Mark Zuckerberg hat es mal wieder mit einer unglaublichen Zielsicherheit in ein Fettnäpfchen geschafft, und überrascht mich damit komischerweise immer noch.
https://twitter.com/jeremyburge/status/1101402001907372032
Aber fangen wir erstmal ein bisschen weiter vorne an, bevor wir uns dem neusten Skandal widmen. Vor knapp einem Jahr ließ Christopher Wylie den bisher vermutlich größten Facebook-Skandal öffentlich werden: Cambridge Analytica hatte über Jahre die Daten von Millionen Menschen ohne deren explizite Zustimmung ausgelesen und nicht zuletzt für politische Werbung an Parteien auf der ganzen Welt verkauft. Selbst die folgenden Versuche des Herunterspielens von Mark Zuckerberg konnten den entstandenen Image-Schaden nur teilweise abwenden. Ende Januar folgte dann der nächste Rückschlag für Facebook: Apple entzog dem Konzern Zugang zu Enterprise-Zertifikaten für iOS-Anwendungen. Der Hintergrund: Zuckerbergs Unternehmen hatte diese genutzt, um die Beschränkungen des App Stores zu umgehen und Nutzerinnen und Nutzer ungefragt auszuspionieren – weil die Daten, die Facebook bereits an anderer Stelle über Anwender sammelt, anscheinend nicht ausreichen.
Keinerlei Respekt vor den Nutzern
Nun zurück zu Jeremy Burge, der mal wieder ein „Feature“ von Facebook aufdeckt, das vor allem eins beweist: Der Konzern hat keinerlei Respekt vor seinen Nutzerinnen und Nutzern. Burge hat nun herausgefunden, dass Facebook über Jahre dreist gelogen hat, als es um die Verwendung der eigenen Telefonnummer geht: Hatte der Konzern bisher noch behauptet, diese lediglich für die zusätzliche Sicherung des Accounts als „zweiten Faktor“ zu verwenden, ist sie plötzlich überall – und zudem auch für andere Anwenderinnen und Anwender fast öffentlich auf dem Netzwerk verfügbar. In anderen Worten: Hat man Facebook die eigene Telefonnummer für die Nutzung der Zwei-Faktor-Authentifizierung gegeben, wird diese unter anderem mit der Unternehmenstochter Instagram geteilt (das Unternehmen bezeichnet das als komfortabel) und steht außerdem, zwar nicht einsehbar aber doch verwendbar, für die Suche nach Kontakten aus dem eigenen Telefonbuch zu Verfügung. Im Klartext heißt das, dass Facebook mit einer falschen Aussage Telefonnummern gesammelt hat und diese jetzt fröhlich im gesamten Konzern verteilt (immerhin ist über die Weitergabe an Dritte dieser Daten bisher noch nichts bekannt).
Facebooks Traum: Nutzer als Daten-Kühe
Ich kann nicht ganz nachvollziehen, wie Mark Zuckerberg sich selbst noch ernst nehmen kann oder von anderen Menschen erwartet, ihm Vertrauen in irgendeiner Form (zumindest in Form von Daten) zu schenken. Seit knapp einem Jahr tritt Facebook wie ein tollwütiger Elefant im Porzellanladen in jedes verfügbare Fettnäpfchen und entschuldigt sich dann allerhöchstens halbherzig dafür. Teilweise gelobt der Konzern Besserung, die niemals eintreten wird, weil jegliche Änderung an dieser Verhaltensweise dem Geschäftsmodell des Konzerns widerspräche. Selbst Zuckerbergs neuster Vorstoß in Richtung Privatsphäre wurde kurz nach dessen Veröffentlichung von einem seiner (vermutlich ehemals) engsten Verbündeten aus dem Silicon Valley als „PR-Stunt“ beschrieben.
Für mich bestärkt die unbeschwerte Weitergabe von Telefonnummern einen Eindruck, der sich spätestens seit dem Cambridge Analytica-Skandal im vergangenen Jahr aufgedrängt hat. Facebook hat kein Interesse an den Nutzerinnen und Nutzern und will deren Vernetzung höchstens zu einem Grund ermöglichen: Um sie nach allen Regeln der Kunst zu melken und die gewonnenen Daten möglichst gewinnbringend an Werbepartner zu verkaufen. Im Idealfall wissen die Nutzer davon möglichst wenig oder gar nichts und erfreuen sich an den Inhalten, die ein Algorithmus (auf Grundlage der gewonnenen Daten) möglichst perfekt auf ihr eigenes Interesse zuschneidet – die Filterblase lässt grüßen. Sollten Skandale – egal welcher Größenordnung – dann doch an die Öffentlichkeit dringen, sichert Zuckerberg Besserung zu und schwadroniert kurzzeitig von Privatsphäre. Die Definition dieser, die zumindest in der Führungsetage von Facebook vorherrscht, lässt sich an den Filtern für private Nachrichten auf der Plattform, die sogar „vage anzügliche Bemerkungen“ ablehnen, deutlich ablesen. Dass der Konzern mindestens theoretisch Zugang zu allen privaten Nachrichten auf seiner Plattform hat, zeugt von einem relativ weiten Verständnis der persönlichen Intimsphäre.
Vielleicht träumen Zuckerberg und seine Kolleginnen und Kollegen aus der Geschäftsführung nachts von Nutzern als Daten-Kühe, die sich – im Tausch gegen Bestätigung der eigenen Ansichten und das Gefühl von Gruppenzugehörigkeit – nach Belieben melken lassen und ihr ganzes Leben inklusive aller privaten Gedanken in Form von Daten-Milch an den Großbauern Facebook geben. Nachdem ich jahrelang eine dieser Kühe war, bin ich jetzt durch das offene Stalltor gegangen und habe mich für immer verabschiedet. Den eigenen Account zu löschen, immerhin dieses Recht räumt Facebook den Daten-Kühen noch ein.
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