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Kommentar: „Pro“ steht für „Professionalität“. Dieser Zusatz schmückt die Namensgebung eines Gerätes und lässt sein Anwendungsgebiet erahnen. Ein MacBook Pro ist somit ein MacBook für professionelle Aufgaben und auch der Mac Pro ist für diese Aufgabengebiete durch diesen Zusatz bestens deklariert. Nur das iPad Pro schmückt sich scheinbar fälschlicherweise mit diesem Namenszusatz.
Steve Jobs läutete mit dem iPad in 2010 die Post-PC-Ära ein. Ein Gerät das Notebooks auf lange Sicht ersetzen soll. Auch 2015 ist ein iPad immer noch kein vollwertiger Mac-Ersatz, sondern viel mehr ein Gerät um gewisse Arbeitsebenen abnehmen zu können. Allein die Eingabemethoden im Desktopeinsatz bestätigen schon, dass ein Touch-Screen auf lange Sicht kein Ersatz für den Einsatz einer Maus und einer haptischen Tastatur ist. Das iPad Air 2 machte 2014 sehr vieles richtig. Es wurde extrem dünn, leicht und unglaublich schnell. iOS und Apps hinken hier teilweise zwar weiterhin der Hardware hinterher, erledigen dennoch ihre beherrschenden Aufgabengebiete meisterlich. Das iPad Pro definiert laut Apple seinen Pro-Aspekt durch das große Display, das Verwenden des Apple Pencils, das Andocken einer Tastatur und der Tonwiedergabe über vier integrierte Lautsprecher. Aspekte die nett erscheinen, aber definitiv nicht die Pro-Ebenen abdecken.
Das iPad Pro ist teuer – wirklich teuer. Um es ansatzweise als einen mobilen Computereinsatz nutzen zu können, muss man als Kunde 1229€ hinblättern. Man erhält hierfür die Mobilfunkvariante des iPad Pro und kann so auch unterwegs online gehen und online arbeiten – ebenso stehen einem 128GB an Speicherplatz zur Verfügung. Ein Schelm, wer hier böses denkt, denn bis zu diesem Punkt kann sich dieses Gerät höchstens „iPad Plus“ nennen – auch preislich gesehen. Um die von Apple angepriesenen „Pro-Gebiete“ nutzen zu können, muss der Kunde für Zubehör, bestehend aus Smart-Keyboard für 179€ und Apple Pencil für 109€, nochmals insgesamt 288€ hinlegen. Das iPad Pro ist in seiner wirklichen Pro-Ausstattung somit an einem Kostenpunkt von 1517€ angelangt. Viel Geld für wenig Pro – denn das Smart-Keyboard ist nur mit einem QWERTY-Layout zu haben, denn wen kümmern schon andere Länder mit unterschiedlichen Tastaturlayouts…
Das Display des Pro-Tablet ist eine Wucht, denn es löst mit mehr Pixel auf als ein 15“ MacBook Pro Retina. Vor allem dessen Empfindlichkeit und Handballenerkennung während des Zeichnens oder Malens mit dem Apple Pencil ist für eine bestimmte Zielgruppen mit Sicherheit DAS Kaufargument. Dieser Stift ist wirklich einer der besten Stifte, die es derzeit für das iPad gibt. Künstler und technische Zeichner werden das nach einer gewissen Praxis bestätigen können. Und dank Software von Drittanbietern löst es als eigenständiges Gerät bestehende Zeichen- und Grafiktablets an Computern schlicht ab und zeigt damit ebenso auf, dass es bisher einen ganz bestimmten Einsatz leisten kann. Doch wie groß ist diese spezielle Nische bestehend aus Künstlern und Zeichnern eigentlich genau? Und ist der Preis vielleicht daher so hoch angesetzt, weil die Nische nicht unbedingt groß ist?
Die Ausstattung des 12,9“ großen iPad ist in Ordnung. Der hauseigene A9X-Prozessor und die 4 GB an verfügbarem RAM-Speicher bieten eine grandiose Performance, die von kaum einer Software wirklich ausgereizt wird. Diese Facette wird allerdings von anderen Bauteilen getrübt. Gerade iMovie ist ein Softwarekandidat, der aufzeigt, dass ein iPad den Videoschnitt künftig komplett übernehmen kann. Zur Aufnahme dieses Videomaterials stehen dem iPad Pro selbst aber nur eine 8-Megapixel-iSight-Kamera und eine 1,2-Megapixel-FaceTime-Kamera zur Verfügung. Gerade die iSight-Kamera hätte hier mit der 12-Megapixel-Kamera aus dem iPhone 6s (Plus) mithalten müssen und 4K-Videoaufnahmen anbieten sollen. Und auch die FaceTime-Kamera müsste mit den neuen iPhone-Modellen auf einer Ebene stehen. In meinen Augen arbeitet in dem iPad Pro schlicht veraltete Kamerasensorik, welche den Zusatz „Pro“ stark trübt.
Noch schlimmer ist in meinen Augen aber die Displaytechnologie. Zwar ist dieses Display empfindlicher als jedes iPad-Display zuvor, doch um eine Pro-Ebene zu schaffen, hätte auch 3D-Touch mit an Board sein müssen. Alle 3D-Touch-Funktionen der neuen iPhone-Modelle würden bei einem iPad in dieser Liga mehr als Sinn ergeben und den Umgang damit ganz anders gestalten. Mit iOS 10 könnten softwareseitige und verfeinerte 3D-Touch-Funktionen nachgereicht werden, welche das gesamte Gerät erweitern und Schaltflächen ganz neu definieren würden. Allerdings ist das iPad Pro somit schon in seiner 1. Generation ein alter Hut, der in einem Jahr kein Nachreichen dieser Funktionen in Kombination aus Displaytechnik und Software sehen wird. Vier Lautsprecher sorgen für einen wirklich wuchtigen Klang. Es ist aber auch kein Wunder, wenn diese vier Lautsprecher einen Klangraum im Unibodygehäuse belegen, der fast der Hälfte des Gerätes entspricht. Vielleicht wäre für den Pro-Aspekt etwas weniger Klangraum besser gewesen, um dafür etwas mehr an Akkukapazität unterzubekommen.
Der größte Knackpunkt an dem iPad Pro ist aber sein Betriebssystem. Natürlich macht der Splitscreen auf dieser Displaygröße etwas her. Es ist aber kein Garant für ein produktives Arbeiten. Denn hier wirkt iOS 9 wie aus Anfangstagen. Hand aufs Herz – wer nutzt auf einem iPad Air 2 und iPad mini 4 den Splitscreen für einen produktiven Workflow? Ich selbst habe ihn höchst selten im Einsatz. Er ermöglicht zwar das Betrachten zweier App-Inhalte zur gleichen Zeit, erlaubt aber nicht den Umgang der Daten/Inhalte zwischen den beiden Apps. Drag & Drop seien hier als Beispiel erwähnt – wodurch die Maus wieder etwas ins Licht rückt. iOS wirkt auf dem großen iPad Pro sehr verloren und unpassend, denn das Dashboard ist schlicht eine 1:1-Kopie der bisherigen iPad-Modelle. So lassen sich nicht mehr Anwendungen als zuvor auf der Oberfläche ablegen. Sie sind schlicht in gewohnter Anzahl aber mit größeren Abständen platziert worden. In den Abstand zwischen den Apps passt – in Pixel betrachtet – übrigens genau einmal die originale iPhone-Auflösung aus 2007. Viel Platz der hier verschwendet wurde…
Allein das iOS auf dem iPad noch keine Taschenrechner-App beinhaltet, ist schon ein Armutszeugnis für sich und spiegelt genau eine Thematik wider – die Software wirkt verkümmert und unangepasst. Ohne die Installation einer Taschenrechner-App aus dem App Store ist auf einem Pro-Gerät dieser Art demnach keine Rechenoperation durchführbar. Auch die Sprachmemo-App fehlt dem iPad. Vielleicht rechnet nicht jeder Anwender auf seinem iPad und vielleicht möchte auch nicht jeder seine Sprachmemos damit aufzeichnen. Es sind aber Anwendungsgebiete, die ein Autor und ein Buchhalter nun mal hätten und für die diese Anwendungen in deren professionellen Aufgabenbereich gehören. Man merkt iOS an, dass es einfach noch keinen Pro-Status erreicht hat und hier noch viele Alleinstellungsmerkmale fehlen, um das iPad weiterhin nicht als großes iPhone anzusehen.
Das Display des iPads in Kombination mit dem Apple Pencil ist hier schon ein exzellenter Anfang und zeigt ganz klar, dass das Display mehr kann, als nur Inhalte zu visualisieren. Doch softwareseitig muss noch viel passieren. So greife ich nur vom iPhone zum iPad um, weil ich mehr Platz benötige. Um beispielsweise Artikel, Zeitschriften und Webseiten angenehmer zu erblicken. Softwareseitig macht das iPad dem iPhone derzeit allerdings nichts vor – denn das Betriebssystem hebt sich zwischen diesen Geräteklassen nicht voneinander ab. Die Meinung, dass OS X auf ein solches Tablet gehört, ist daher nicht schlecht anzusehen – ich unterschreibe sie dennoch weiterhin nicht. iOS ist schlicht das beste, mobile Betriebssystem und absolut passend für das iPad Pro, allerdings mit allerlei fehlenden Pro-Aspekten und Anpassungen. Wischgesten sind für einen Touch-Screen in dieser Dimension das wichtigste Schlagwort und leider kennt das Pro nicht mehr als seine kleineren Vorgänger. Es gehört noch viel, wirklich sehr viel Softwarearbeit dazu, um iOS als eine wirkliche, professionelle Arbeitsfläche für ein Pro-Gerät mit dieser mobilen Displaygröße ansehen zu können.
Das iPad Pro ist ein netter Gedanke in die richtige Richtung. Dennoch ist das Gerät eine 1.0 – das ist klar. Auch ist klar, dass diese Version in einem Jahr schon an einem weiterentwickelten Punkt stehen wird und die 1.0 als Schnee von gestern betrachtet werden darf. Es wirkt hier wie der Sprung vom iPad 1 zum iPad 2. Das iPad Pro ist kein Notebookersatz, aber für bestimmte Anwender ein teurer Kompromiss. Die Hardwareausstattung im iPad Pro muss noch den ein oder anderen Jahressprung durchführen, damit das Gerät den Namenszusatz ehrwürdig vertreten kann. Es ist noch massig Luft nach oben und das derzeitige iPad-Pro-Konzept beginnt derzeit erst mit einer Brise davon. Man kann demnach sicher ein iPad kleiner machen und es mit „mini“ betiteln. Man sollte es aber nicht einfach größer machen und es künstlich mit dem Zusatz „Pro“ schmücken.
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61 Gedanken zu „Der fehlende Pro-Aspekt“
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