Verschärfte Anti-Terror-Gesetze verbieten ab Juli den Verkauf anonymer Prepaid-SIM-Karten. Damit könnte ein Erfolgsmodell zu Ende gehen. Viele Anbieter erwarten einen Umsatzeinbruch. Dabei ist die Wirksamkeit der Maßnahme umstritten.
Vor 20 Jahren – 10 Jahre vor dem ersten iPhone – brachte der inzwischen von Telefónica aufgekaufte Mobilfunkanbieter E-Plus mit der „Free & Easy Card“ die erste Prepaid-SIM-Karte auf den deutschen Markt. Das Prepaid-Modell ist seither zu einer echten Alternative für vertragsscheue Gelegenheitstelefonierer geworden.
Die Prepaid-SIM-Karte erfordert keinen Vertragsabschluss und folglich auch keine Vertragslaufzeit oder Bonitätsprüfung. Sie wird einfach mit einem Geldbetrag aufgeladen, der anschließend abtelefoniert werden kann. Einen Mindestumsatz oder regelmäßige Kosten, wie die Grundgebühren bei Verträgen, gibt es in der Regel nicht. Durch die volle Kostenkontrolle gewann die Prepaid-Karte nicht nur bei Jugendlichen und Studenten rasch an Beliebtheit und wurde bald auch von großen Handelsketten und Discountern verkauft.
Circa 8 bis 9 Millionen Karten gingen pro Jahr über die Ladentheke. Zeitweise waren fast 70 Millionen Karten in Deutschland aktiviert. Heute sind es immerhin noch rund 60 Millionen. Ein lohnendes Geschäft. Viele Händler griffen das Geschäftsmodell auf und verkauften schließlich ihre eigene Karten. Der Discounter Aldi wurde mit „Aldi Talk“ sogar zum Marktführer der Branche.
Neue Anti-Terror-Gesetze
Doch auch Terroristen und anderen Kriminellen nutzten Prepaid-Karten, um ihre Straftaten zu koordinieren. Sie kauften anonym oder mit falscher Identität große Mengen auf Vorrat, um ihre Identität zu verschleiern uns Spuren zu verwischen: Nach jedem Anruf schoben sie einfach eine neue Karte ins Handy, und machten es Sicherheitsbehörden schwer, sie abzuhören und zu verfolgen.
In Ungarn nutzen Hintermänner der Terrormiliz „IS“ den Namen eines verstorbenen Obdachlosen, um 200.000 Prepaid-Karten zu kaufen. Auch die Attentäter aus Paris und Brüssel sollen Karten dieser Charge bei sich gehabt haben.
Die – eigentlich unveränderliche – eindeutige IMEI-Nummer des Handys reicht zur Identifizierung nicht aus, weil sich diese auf einigen Geräten per Software ändern lässt. Das ist in Deutschland nicht ausdrücklich per Gesetz verboten und würde Kriminelle vermutlich auch nicht abhalten.
Komplizierter als ein Vertragsabschluss
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Einige Händler erwarten, dass sich viele Kunden vor dem 1. Juli in letzter Sekunde mit einer freigeschalteten Karte eindecken, sodass der Absatz noch einmal kurz ansteigt, bevor er schließlich einbricht. Ab diesem Datum müssen sich Kunden beim Kauf einer Prepaid-Karte und bei deren Freischaltung wie bei einem Vertragsabschluss identifizieren.
Experten schätzen, dass eine gesetzeskonforme Identitätsfeststellung etwa 3-5 Minuten in Anspruch nehmen wird. Lange Schlangen an den Supermarktkassen wären die Folge. Rossmann und Kaufland haben daher bereits entschieden, die Identifizierung keinesfalls an der Kasse vorzunehmen. In vielen Elektronikmärkten gibt es bereits Schalter für besonders beratungsintensive Produkte, wie Finanzierungen, die man dazu nutzen könnte.
Alternativ könnte die Identifikation per Videochat vorgenommen werden, wie sie beispielsweise einige Banken bereits nutzen. Dabei werden das Gesicht und der Ausweis in die Kamera gehalten und von einem Mitarbeiter abgeglichen. Dieser stellt zusätzlich ein paar Kontrollfragen wie zum Beispiel nach dem Geburtsdatum. Um profitabel arbeiten zu können, müssen solche Dienstleister etwa 3-4 Euro pro Videocheck in Rechnung stellen – ein enormer Kostenfaktor bei Einstiegspreisen ab 9,95 Euro für eine SIM-Karte mit 10 Euro Startguthaben. Tariferhöhungen könnten die Folge sein. Für den belgischen Markt hat Aldi aufgrund des teuren und aufwändigen Identifikationsprozesses bereits seinen Rückzug angekündigt. Welche Schritte man für Deutschland plant ist nicht nicht bekannt.
Einige Anbieter halten die befürchteten Umsatzeinbrüche hingegen für Spekulation und sehen keine Bedrohung für das Erfolgsmodell, welches vor allem auf einfachen und übersichtlichen Tarifmodellen beruht.
Umstrittene Wirksamkeit
Da die neuen Gesetze nicht EU-weit umgesetzt werden, ist fraglich, in wie weit sie ihr erklärtes Ziel überhaupt erreichen können. Kriminelle können künftig einfach ausländische Prepaid-Karten (z.B. aus Österreich) nutzen und die neuen Gesetze damit kurzerhand umgehen. Außerdem ist nicht ausgeschlossen, dass Karten weiterverkauft werden und die wahren Nutzer damit weiterhin unbekannt bleiben.
[via golem.de]
39 Gedanken zu „Prepaid-Karten künftig nur mit Ausweis: So kompliziert wird es“
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