Indien: Rund ein Sechstel der Weltbevölkerung lebt hier. Fast die Hälfte von ihnen in Armut und ein weiteres Viertel sogar in absoluter Armut – das bedeutet, mit weniger als einem Dollar pro Tag lebenswichtige Grundbedürfnisse stillen: ein täglicher Kampf ums Überleben.
Digital India?
Geradezu absurd scheint in diesem Licht die Kampagne „Digital India“, mit der die indische Regierung die Netz-Infrastruktur – insbesondere in ländlichen Gebieten – ausbauen und Angebote der Behörden elektronisch zugänglich machen möchte. So sollen auch die ärmsten Bauern ein eigenes Konto erhalten – doch wie sollen sie darauf zugreifen? Nur rund jeder sechste Inder besitzt ein Smartphone, wie eine Studie von Ericsson zeigt. Andere Internet-Geräte sind noch wesentlich seltener vertreten. Indien hat damit nach China den zweitgrößten Smartphone-Markt, doch der Absatz scheitert an der Armut der Bevölkerung.
Doch der bisher vollkommen unbekannte indische Smartphone-Hersteller Ringing Bells läutete im Februar eine neue Ära ein: Ein neues Smartphone, das Freedom 251, soll – unter anderem dank staatlicher Subventionen – nur 251 indische Rupien kosten, also umgerechnet etwa 3,35 Euro. Damit könnte der Traum des indischen Premier-Menisters Narendra Modi in Erfüllung gehen, auch der bisher unvernetzten Milliarde einen Zugang zum World Wide Web zu verschaffen.
Preis-Wunder heiß diskutiert
Seit seiner Ankündigung wird das Preis-Wunder heiß diskutiert: Angesichts des laut Experten vollkommen unrealistischen Preises wurden schnell Betrugsabsichten unterstellt und auch die Herstellungsmodalitäten schienen ziemlich vage zu sein. Vier Monate vor geplanten Verkaufsstart hatte man weder eigene Fabriken noch die notwendigen Lizenzen zur Herstellung und zum Verkauf von Mobiltelefonen.
Weitere Ungereimtheiten erhärteten den verdacht: Erste Bilder „eines Prototypen“ stellten sich schnell als Exemplar des chinesischen Smartphones Adcom Ikon 4 heraus, bei dem der Markenname ziemlich offensichtlich mit Tipp-Ex verdeckt wurde. Es erinnert optisch stark an das iPhone 4 und weist beispielsweise auch den typischen runden Home-Button auf – ein Bild auf der Website des Herstellers zeigte jedoch die drei typischen Android-Tasten. Im Vorverkauf vom 18. bis zum 21. Februar konnte Ringing Bells zudem nur 30.000 Geräte verkaufen, weil die Website mit 600.000 Klicks pro Sekunde einfach überlastet war, erklärte der Hersteller.
Inzwischen scheinen sich jedoch Erklärungen gefunden zu haben: Beim Freedom 251 soll es sich tatsächlich um das Adcom Ikon 4 handeln, bei dem unter anderem der Home-Button durch die drei Android-Tasten modifiziert wurde. Das Adcom Ikon 4 wird in Indien (mit Gewinn) für 3770 Rupien verkauft, also umgerechnet rund 50 Euro.
Die Preisfrage
Doch wie kommt dann der Kaufpreis von nur 3,35 Euro ohne Mobilfunvertrag zustande?
Der Verband der indischen Handy-Industrie schätzt die Materialkosten auf umgerechnet rund 35 Euro – andere Analysten halten laut Tagesspiegel Herstellungskosten von rund 20 Euro für realistisch. Ringing Bells selbst gibt 16 Euro Produktionskosten an.
Große Mengenrabatte und staatliche Subventionen wie die „Make in India“-Kampagne dürften den Preis aber senken. Daneben erziele der Hersteller Einnahmen aus Kooperationen z.B. mit Sponsoren, deren Apps auf den Geräten vorinstalliert sein werden und langfristig weitere Erlöse aus dem App-Ökosystem. Bislang werden die teile in Taiwan produziert und in Indien montiert – langfristig soll jedoch die komplette Produktion nach Indien verlagert werden: Drei Fabriken seien bereits in Planung.
Ringing Bells räumt jedoch ein, einen Verlust von rund zwei Dollar pro Gerät zu machen. Vielleicht werden Teile der Produktion aber auch mit dem Verkauf von anderen Geräten des selben Herstellers, wie dem smart 101 für umgerechnet ca. 53 Euro, gegenfinanziert, die momentan alle samt ausverkauft sind.
Was kann das Smartphone?
Reporter der BBC hatten bereits vor zwei Tagen Gelegenheit, sich das Gerät näher anzusehen. Die endgültige Version sollte aber ab heute verfügbar sein. Doch Ringing Bells verschob den Starttermin auf die große Vorstellungsveranstaltung am 7. Juli in Neu Dehli.
Das Freedom 251 ist ein 4-Zoll Gerät mit einem qHD-Display – was nicht für „quadro“, also vierfach steht, sondern für „quarter“ also ein Viertel der Full-HD-Auflösung (960×540 Pixel). Wie die drei Android-typischen Knöpfe bereits vermuten lassen, ist es mit dem Android-Betriebssystem in der Version 5.1.x Lollipop ausgestattet. Im Inneren schlägt ein 1,3-GHz-Quadcore-Prozessor, der zusammen mit einem Gigabyte Arbeitsspeicher relativ schnell sein sollte.
Die Speicherkapazität von 8 Gigabyte soll sich mit Micro-SD-Karten auf bis zu 32 Gigabyte erweitern lassen. Außerdem soll das Telefon mit zwei SIM-Karten-Schächten daherkommen. Außen sind zwei Kameras angebracht: Hinten die 3 Megapixel Hauptkamera inklusive LED-Blitz und auf der Vorderseite eine 0,3 MP Frontkamera für die Videotelefonie.
Die BBC betont jedoch, dass bei der Demonstration nur wenige Apps wie ein Taschenrechner, ein Musik-Player, der Internet-Browser und ein E-Mail-Programm zum Testen zur Verfügung standen.
Zu kleine Produktion
200.000 Geräte habe man bereits gefertigt – dem stehen 375 Mal so viele Bestellungen gegenüber. Aus Fairness wolle man die ersten Kunden per Zufall auslosen. Bleibt die Produktionskapazität jedoch bei 200.00 Stück pro Monat, müssten sich die letzten Kunden noch über 31 Jahre gedulden. Wie lange sich der Hersteller angesichts der Verluste überhaupt halten kann ist fraglich. Gegenüber der indischen Nachrichtenagentur IANS sagte der Firmenchef, er werde Regierungschef Narendra Modi um Hilfe bitten und ihm ein Freedom 251 schenken.
Konkurrenz für Apple?
Tim Cook bezeichnete den indischen Smartphone-Markt als „unglaublich aufregend“. Momentan entsteht eine Mittelschicht mit enormen Kaufpotential: Im letzten Weihnachtsquartal waren die iPhone-Verkaufszahlen in Indien um 76 Prozent gestiegen. Wirklich sorgen muss man sich angesichts der billigen Konkurrenz jedoch nicht. Gerade der niedrige Preis könnte dem Preis-Wunder zum Verhängnis werden: Die Mittelschicht will zwar billig kaufen, aber nicht billig aussehen. So wurde bereits das Billig-Auto Nano der indischen Firma Tata zum Flop. Außerhalb Indiens ist das Telefon offiziell nicht erhältlich.
9 Gedanken zu „Günstigstes Smartphones der Welt – zu schön, um wahr zu sein?“
Die Kommentare sind geschlossen.