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Kommentar: Nach anfänglicher Euphorie folgt der Alltag in der Praxis. Ich würde es bei mir aber weniger Euphorie, sondern eher Erwartung nennen. Denn meine Erwartungen und Ansprüche an Apples neuen Musikdienst wurden von mir hoch angelegt. Und je höher man seine Erwartungen steckt, umso mehr wird man bekanntlich am Ende enttäuscht.
Ich liebe Musik und ohne sie wäre mein tägliches Leben sehr unemotional und facettenlos. Musik definiert schon seit Kindheitstagen meine Gefühlswelt. Wahrscheinlich, weil ich schon als Kleinkind von meinem Onkel Überohrkopfhörer aufgesetzt bekam, wenn ich nicht schlafen wollte und so schon sehr früh elektronische Musik kennenlernte. Wahrscheinlich auch, weil mein Großvater Alleinunterhalter war und ich in meiner Kindheit durch seine Ziehharmonika und Heimorgel viele klassische Lieder wahrnahm. Und scheinbar war das der Grund dafür, dass ich mit 13 Jahren selbst mit dem Mischen von Musik begann, ganze Mixtapes am Stück zum Laufen brachte und auch einzelne Songs selbst schrieb. Seit meinem 21. Lebensjahr habe ich all das allerdings aufgegeben, denn meine Interessen änderten sich heimlich still und leise. Mein Leben wurde stark durch Musik geprägt. In vielen unterschiedlichen Zeiten lernte ich die unterschiedlichsten Musikrichtungen kennen und bestimmte Lieder aus alten Tagen holen einen heute beim erneuten Hören immernoch aus der Gegenwart ab und ziehen einen für eine kurze Laufzeit in die Vergangenheit zurück. Nach meinem Musikgeschmack werde ich oft gefragt und diese Frage ist einfach zu beantworten. Ich tendiere zu Pop, House, Vocal-House, Dance, Ambient und Indie. So höre ich von ABBA bis Zucchero wirklich enorm viel unterschiedliche Musik und darunter die unterschiedlichsten Interpreten, die man sich vorstellen kann. Gerade Soundtracks haben es mir seit Jahren sehr angetan und lassen einen Film musikalisch nochmals ganz anders erfassen. Musik hat unendliche Facetten und jeder schätzt diese an ihr anders. Schon immer fällt meine Musikwahl passend zur Stimmung aus. Nichts lässt eine deprimierte Stimmung besser verschlimmbessern, als depressive Musik. Und zu nichts lässt es sich besser arbeiten, als zu motivierenden Klängen.
Meine iTunes-Mediathek hat nun fast 12 Jahre auf ihrem Buckel. Seit meiner Teenagerzeit wurde sie gehegt und gepflegt. Als Fan einzelner Künstler sammelte ich nicht nur die Alben, sondern auch die komplette Palette aller Versionen/Mixes einer Singleauskopplung. So ist es kein Zufall, dass ich beispielsweise von Madonnas Single „Give It 2 Me“ eine EP-Sammlung mit allen 28-Tracks aller weltweit veröffentlichten Versionen besitze. Viele davon von unterschiedlichen CD’s und Vinyl-Platten gerippt, alle zusammen per Hand getagt und in iTunes archiviert. So sammelte ich in 12 Jahren vielerlei Musik, die man nirgends in einem Stück zu kaufen bekommt und die in meinen Augen absolut einmalig und einzigartig ist. Und so beherbergt meine Mediathek heute viele solcher großen EP-Sammlungen unterschiedlicher Künstlern – darunter auch Live-Auftritte von Konzerten aus verschiedenen Ländern. Jeder der bisherigen 28.840 Tracks wurden per Hand getagt, seltene Alben mit Einzelstücken an Covern versehen und ganze EP-Sammlungen von Singles zusammengefrickelt.
Ihr merkt es: Musik war schon immer eine Leidenschaft von mir und gerade aus diesem Grund wurde sie liebevoll behandelt und dementsprechend genossen. Das Anlegen von Wiedergabelisten ist mit Sicherheit eines der persönlichsten Dinge, die man mit Musik überhaupt anfangen kann. Du stellst dir deine Playlist nach deinem Geschmack zusammen und zwar auch abhängig von Emotionen. So schlummert bei mir eine Alltags-Playlist mit 1300 Titeln in iTunes und dem iPhone. Egal ob eine Partynacht, eine lange Autofahrt im Dunkeln, eine Zeit mit Liebeskummer oder die Besinnlichkeit zur Weihnachtszeit – für jede dieser emotionsgeladenen Situationen gibt es seit Jahren bei mir eigene Wiedergabelisten. Diese sind wichtig, denn man gewöhnt sich an solche Dinge über Jahre hinweg. Der Musikbesitz ist eines der persönlichsten Dinge, die ein Mensch haben kann. Er definiert sich durch diesen Geschmack in seinen Lebensansichten und hebt sich zeitgleich von anderen Musikhörern ab. Musik ist einzigartig und zeitgleich jeder Mensch und dessen Musiksammlung.
Ich war schon immer hungrig nach neuer Musik. So kann ich die Geldsumme ansich kaum noch zählen, die ich über Jahre hinweg in iTunes für Musik ausgab. Geld um Musik dauerhaft besitzen zu können und so oft zu hören, wie ich es will. Gerade das Kennenlernen noch unbekannter Musik bewegte mich irgendwann dazu auch Spotify eine Chance zu geben. Hier lernte ich wahrlich neue Musik kennen und schob sie in dem Dienst in eigene Playlisten. Doch irgendwie wurden Spotify und ich nie warm, denn es war einfach nicht das gleiche wie iTunes und meine eigene Mediathek. Spotify konnte nie mit meiner Sammlung mithalten. So war es immer ein ständiges Hin und Her zwischen der Musik-App und der Spotify-App bzw. iTunes und Spotify. Die eine Musik wurde hier gehört und die andere dort. Keine Lösung auf längere Sicht und umso froher war ich natürlich, als Apple seinen eigenen Musikdienst vorstellte und ich endlich eine Lösung für mein Problem sah.
Apple Music ist ein Dienst den ich mir vom Grundkonzept schon seit Jahren wünschte – ein Platz für all meine Musik, die ich liebe, und an dem ich neue Lieder kennenlernen darf. Dafür bin ich bereit monatlich knappe 10€ einzuwerfen. Ein Ort an dem all meine geliebte Musik verweilen kann und permanent erreichbar ist. Es ist egal wie viel Speicherkapazität ein Gerät hat, denn jedes meiner Lieder kann künftig von diesem Ort gestreamt oder heruntergeladen werden. Kein Kabel mehr zum Synchronisieren der Mediatheken und Wiedergabelisten, denn durch Apple Music werden Wiedergabelisten über die iCloud im Gleichstand gehalten. 2001 lebte mit dieser Ankündigung irgendwie erneut auf und ließ hoffen, dass sich das Musikkonzept wie man es kennt, nun endlich nach vorne bewegt und die gewohnten Lasten abnimmt.
Doch ich habe mich getäuscht – wirklich getäuscht.
Von meinen mehr als 28.000 Titeln loszulassen und sie einem Fremden anzuvertrauen ist ein Gefühl, als würde man sein Kind in die Obhut fremder Menschen geben. Man weiß einfach nicht wie andere Leute mit seinem Kind umgehen und ob sie es so behandeln wie man es selbst über Jahre hinweg getan hat. Mir blieb allerdings nichts anderes übrig als diesen Schritt zu gehen, denn natürlich wollte ich mit meiner Musik an denen einen wahrhaftigen Ort gelangen. So aktivierte ich die iCloud-Mediathek und war nervös wie ein Kind einen Tag vor Weihnachten. Apple Music scannt zuerst die vorhandene Mediathek des Besitzers und gleicht sie mit dem iTunes-Store ab. Bekannte Musik wird in der iCloud-Mediathek durch die iTunes-Version ersetzt. Musik die iTunes nicht im Angebot hat wird hochgeladen. Tolle Sache – dachte ich. Der Abgleich dauerte ansich nicht lange und schon begann der Upload aller Musik. Nach und nach wurde Titel für Titel hochgeladen, was bei meinem Musikumfang wirklich dauerte. Aber ich wurde schnell in meiner Euphorie und meiner Erwartung gestoppt, denn nach 20.000 Titeln war Ende. Mehr Musik konnte die iCloud-Mediathek schlicht nicht verkraften.
Plan B musste her. Da ich wusste, dass dieses Kontingent in einigen Wochen auf die Grenze von 100.000 Titeln aufgestockt wird, teilte ich meine Mediathek. Das fühlte sich an, als würde man zwei Geschwister trennen. Das eine Scheidungskind umfasste um die 15.000 Titel und darunter befand sich nur das, was wirklich von mir gebraucht wird. Der Upload funktionierte dieses Mal in einem Rutsch – auch wenn es mehr als 27 Stunden dauerte bis alle Musik in der Wolke war. Damit konnte ich allerdings leben. Perfekt, endlich war meine Musik in der iCloud-Mediathek und konnte auf jedem Gerät abgegriffen werden. Doch die Ernüchterung kam erst nach und nach…
Auch meine Playlists wurden für Apple Music über die iCloud-Mediathek für jedes Gerät verfügbar gemacht und natürlich fehlten durch die geschiedene iTunes-Mediathek viele Titel in ihr. So habe ich gewisse Titel aus Apple Music in diese Wiedergabelisten nachträglich hinzugefügt, um sie einigermaßen auf dem alten Stand zu besitzen. Doch es kam noch schlimmer: Auf dem Mac und seiner Offline-Mediathek waren bestimmte Versionen von Songs wie immer, doch Apple Music machte keinen Unterschied zwischen Liederversionen. Zieht man auf dem Mac beispielsweise „Madonna – Give It 2 Me (Fedde Le Grand Dub)“ in eine Playlist, so lädt Apple Music auf dem iPhone „Madonna – Give It 2 Me“ vom Album des Interpreten herunter. Eine Singleversion einer EP macht der Dienst somit kurzerhand zum Albumtitel eines Albums. Musiktitel, die es vom Titelnamen her nicht in iTunes zu finden sind, lehnt der Dienst somit ab, greift nicht korrekt auf die iCloud-Mediathek des Nutzers zurück und liefert einfach die Version ab, von der Apple Music denkt, das es schon die richtige aus iTunes sein wird.
Okay – vielleicht habe ich irgendwas falsch gemacht. Also Playlisten gelöscht und frisch angelegt. Weiterhin die gleichen Fehler in der Zuordnung versionierter Musik. Also alles nochmals auf Null und Stück für Stück. iTunes leergeräumt, die iCloud-Mediathek gelöscht und Apple Music auf allen Geräten deaktiviert. Apple Music auf dem Mac aktiviert, die iCloud-Mediathek aktiviert und meine ganze Madonna-Sammlung in iTunes gezogen, abgleichen und hochladen lassen. Neue Playlisten angelegt und die Versionierung erneut kontrolliert. Doch immer noch die gleichen Versionierungsfehler auf Dauer. Apple Music ignoriert schlicht in Klammern gesetzte Information. So wird aus einem Live-Track dann auch gerne einfach ein Single-Track/Album-Track – man bemerkt dies allerdings erst beim Hören, denn von der Songbeschreibung her heißt der Titel 1:1 so wie er wirklich heißen sollte und auch die Laufzeit der originalen Datei stimmt.
Apple Music ist ein wirklich dummer Dienst und ich bin mir nicht sicher, ob es iTunes oder die iCloud ist, was hier so unverschämt dumm ist. Apple Music zerreißt die eigene Musik einfach und rühmt sich noch damit. Ein bestehendes und hochgeladenes Album sind hier keine 12 Tracks mit einheitlichem Cover, sondern ein Album mit 12 Tracks unter denen die Singleauskopplungen auch als Single behandelt werden. So haben die 12 Tracks nicht das gleiche Cover, sondern Singleauskopplungen das Cover der Single. Jeder Musiksammler wird verstehen, dass dies ein No-Go ist und so einfach als nicht korrekt betrachtet werden kann. Prinzipiell kann der Dienst mit keinerlei Musiksammlung richtig umgehen und zerpflückt sie wie es ihm passt. iTunes Match in Kombination von Apple Music macht übrigens viel DRM-Quatsch. Wer also wie ich nur Apple Music nutzte, der bekam seine eigene Musik mit einem DRM-Schutz zurück. Nutzer mit iTunes Match bekamen diese Auflage nicht. Eine komische Konstellation, die Apple bis heute nicht erklären konnte. Umso froher bin ich daher, dass ich für den Notfall drei Backups meiner ganzen Mediathek besitze und an meinen Originaldateien nichts verändert wurde.
Die Sache mit dem Onlineradio. Ich höre wenig Radio – das war bei mir schon immer so. Abgeschnittene Tracks, Reingequassel von Moderatoren/innen während eines laufenden Songs, abgeschnitten Enden von Lieder und das ständige wiederholen der gleichen Playlist ist im Allgemeinen das störendste Erlebnis, das man mit Musik erleben kann. Auch Beats1 ist hier nicht besser und nach drei Wochen der Dauernutzung drehte ich Beats1 komplett ab. Hier wird ebenso viel gequasselt wie in jedem anderen Radiosender auch und das nervt auf Dauer gewaltig. Zusatzinformationen zu einzelnen Tracks sind wirklich hilfreich und nützlich, doch die Abstimmung zwischen „akzeptabel“ und „übertrieben“ kennt Beats1 hier scheinbar noch nicht wirklich. Statt den Zuhörer mit nützlichem Hintergrundwissen zu informieren, wird er schlicht zugelabert. Beats1 ist ein Radio wie man es kennt. Wer Radio mag wird es mögen, aber mich strengt es an und lenkt vom Fokus ab – der Musik.
Ich war hier an einem Punkt angekommen an dem ich vor Enttäuschung fast am Verzweifeln war, denn ich probierte fast drei Monate herum, um diese Problematik in den Griff zu bekommen. Ich habe nichts falsch gemacht – wirklich nicht. Es liegt einfach an dem Dienst selbst, der in diesen Funktionen unbrauchbare Arbeit leistet und jeden Musikliebhaber zum Heulen bringt. Es gleicht einem Babysitter, der nicht richtig auf das Kind aufpassen kann und der trotzdem noch angemessen bezahlt werden möchte. Ich habe nach drei Monaten aufgegeben und Apple Music zur Tür rausgeworfen. Ich bin zu den Wurzeln zurückgekehrt. Das 15“ MacBook Pro Retina beherbergt weiterhin eine offline iTunes-Mediathek mit über 28.000 Titeln. Darin die gewohnten und handverlesenen Wiedergabelisten aus alten Tagen. Ich hatte viel Angst mein Musikkind einem Fremden anzuvertrauen und so wurde zuvor die gesamte Musiksammlung extern als Dateibackup abgelegt. Auch die Wiedergabelisten exportierte ich vor dem Umstieg zu Apple Music aus iTunes heraus. Das Einspielen der alten Mediathek war einfach – allerdings ein Schritt mit viel Enttäuschung eines Musikdienstes im Hinterkopf. Alte Musikgewohnheiten nehmen seit dem wieder ihren Lauf, denn Musik wird bei mir künftig wieder in iTunes vorbestellt und gekauft.
Ich habe mich getäuscht – „Streamen ist nicht das neue Kaufen“. Gestreamte Musik ist in meinen Augen ein alltägliches Verbrauchsprodukt, dass weder geschätzt noch verinnerlicht wird. Die Musik wird als solches Medium einfach nur noch gestartet und laufen gelassen. Es ist egal was mit der Musik ist, Hauptsache sie läuft. Ein Cover oder spezielle Bonus-Tracks sind nicht mehr relevant, denn bei gestreamter Musik gehen solche Aspekte in der Masse unter. Musikkenner werden diese Aussage unterschreiben können. Das wirkliche Besitzen von Musik und selbstdefinierten Wiedergabelisten ist eine ganz andere Hausnummer und kann von keinem derzeitigen Dienst abgenommen werden. Ein Mensch nimmt Musik speziell wahr und geht auch gleichermaßen mit ihr um. Kein Algorithmus kann dies auch nur ansatzweise gefühlsbetont nachahmen. Zwar sitzen bei Apple angeblich echte Menschen, welche Playlists per Hand anfertigen und somit persönlicher denn je machen sollen, doch Apple schafft das mit Apple Music wahrlich nicht – noch lange nicht. Eine Playlist von zehn Lieder ist keine persönliche Tracklist für eine dreistündige Autofahrt, denn diese Liste ist nach geschätzten 50 Minuten zu Ende. Apple Music konnte meinen Geschmack in diesen drei Monaten nie wirklich definiert aufzeigen, setzte mir ansich den Einheitsbrei aus Charts und Co. vor und packte mir diesen Mischmasch in Wiedergabelisten – die ich nicht freiwillig hören wollte.
Apple Music ist in meinen Augen ein Ort für Musikhörer, die keine essentielle Musikleidenschaft kennen und keine eigene große iTunes-Mediathek mitbringen. Sie beginnen von Null an und speichern/hören das über das sie so stolpern. Das ist nicht schlimm oder gar verkehrt, hat aber nichts mit dem wirklichen Sammeln und Verinnerlichen von Musik zu tun. Für wirkliche Musikkenner, die ihre eigene Mediathek lieben und schätzen, ermöglicht Apple Music derzeit keinerlei Mehrwert, sondern nur Frust und Kummer. Ich bin enttäuscht. Wirklich enttäuscht. Und im Nachhinein sehe ich den Dienst genauso schlimm an, wie dessen Präsentation auf der WWDC2015 – unpersönlich, unkoordiniert und nicht zufriedenstellend in seiner Funktion. Doch es gilt abzuwarten was Apple an seinem Musikdienst noch alles dreht und wendet und vielleicht schaue ich mir diesen Dienst in ein bis zwei Jahren dann noch einmal an.
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52 Gedanken zu „Das Apple-Music-Resümee“
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