Kommentar: In der Kolumne „CarPlay: iOS auf vier Rädern“ erklärte ich detaillierter, was CarPlay ist und wie es funktioniert. Seit März 2014 rollt CarPlay nun softwaretechnisch über die Straßen der Welt und die ersten tausend Kilometer dauern immer etwas, bis man sie auf dem Kilometerstand erkennen kann. Doch CarPlay rollt gefühlt immer noch auf die ersten zehn Kilometer drauf zu.
Apple schaut sich die unterschiedlichsten Themengebiete an – immer wieder aufs neue und immer wieder aus anderen Blickwinkeln mit unterschiedlichen Lichtverhältnissen. War es mit dem iPod+iTunes die Musikindustrie, so ist es mit dem iPhone+Apple Watch die Sportindustrie und mit CarPlay die Automobilbranche. Man sieht – manchmal ist es nicht nur Hardware, die greift, sondern auch Softwareideen. So clever die heutigen Autos von außen wirken, so dumm sind sie im Inneren. Das hat auch Apple am Interieur festgestellt. Natürlich kann Apple nicht designtechnisch daran rumdoktern – doch softwareseitig seinen Teil dazu beitragen, um dem iOS-Nutzer auch im Auto nahe zu sein. So ist das heutige Infotainmentsystem im Auto um Jahre zurück und soll, wenn es nach Apple geht, durch CarPlay softwareseitig auf den neusten Stand der Dinge gebracht werden.
Voraussetzung für CarPlay ist ein vom Automobilhersteller verbautes System, welches das iPhone per Lightningkabel entgegennimmt. Dadurch werden unterstützte Applikationen und deren Daten zum Infotainmentsystem gestreamt und auf dem Touchdisplay des Autos funktionell angezeigt. Noch ist das Kabel der Zweck der Dinge, doch künftig kann CarPlay auch per Wifi genutzt werden – denn CarPlay hat seine Wurzeln in AirPlay. Die Methode ist simpel. Der Fahrer steigt künftig in sein Auto ein und dreht den Zündschlüssel rum. Automobil und iPhone finden sich per Wifi und koppeln sich automatisch. In der derzeitigen und kabelgebundenen Generation steigt der Fahrer in sein Auto ein, dreht den Zündschlüssel rum und verbindet sein iPhone per Lightningkabel mit dem Infotainmentsystem. Klar, die WLAN-Version wirkt natürlich schon angenehmer – wie man es von der Bluetoothkopplung derzeit kennt – doch die Automobilbranche hat schon vor der kabelgebundenen Generation jede menge Panik. Doch blicken wir einmal hinter die Thematik.
Automobile haben eine gewisse Entwicklungszeit, die sie durchlaufen. So entsteht ein Automobil vom Grundkonzept teils schon 5 Jahre bevor das erste Exemplar vom Band läuft. Das Gesamtkonzept beinhaltet dabei das Konzept von Exterieur und dem Interieur. Beides arbeitet hier am Ende miteinander, was in Sachen Sicherheitspaketen klar zu erkennen und teils zu bewundern ist. Viele Millionen Euro sind für die gesamte Entwicklung von Nöten, um am Ende aus dem entwickelten Gesamtkonzept ein funktionierendes Automobil zu fertigen. Sicherheit und Effizienz sind zwei der Grundbausteine in dieser Konzeptionsspanne. Ein Auto ist heute sicherer denn je. Es kann teilweise selbständig Gefahren erkennen und frühzeitig die Auswirkungen minimieren oder gar verhindern. Doch während der Fahrt kommt es dem Nutzer vor allem auf die interieure Unterhaltung an. So ist eine 5.1-Soundanlage und ein dazugehöriger Dockconnectoranschluss für den iPod schon lange keine Seltenheit mehr. Doch dieses Konzept ist veraltet. Heute koppeln sich iPhone und Automobil per Bluetooth miteinander und ermöglichen so das Streamen der Musik und das Freisprechen bei Telefonaten. So bleibt das iPhone dort, wo es ist – in der Hosentasche. Klingt nach Fortschritt, ist aber erst der erste Kilometer auf der Anzeige. Zwar gibt Apple mit CarPlay ganz klar die Fahrtrichtung vor, doch es wirkt als hätte der Entwicklungsmotor der Automobilindustrie Sand im Getriebe.
Was Automobilhersteller fürchten ist die gleiche Thematik welche die Musikindustrie bei iTunes fürchtete. Das eigene – teils zum Scheitern verurteilte – Monopol zu verlieren. Demnach klammern sich Autohersteller bis heute an ihre eigenen Konzepte, setzen ihnen eine 1 mit Sternchen als Gesamtnote an und vermarkten es als „Das musst du haben!“. Eine neue Lightningschnittstelle für das System wird so mal gut und gerne als gutes, neues und zugleich teures Extra vorgestellt und verkauft – wenn es überhaupt schon beim Autohersteller angekommen ist, dass der Dockconnector mittlerweile vom Lightninganschluss abgelöst wurde. Gerne wird ein 6-Fach-CD-Wechsler verbaut, der das Non-Plus-Ultra der Anlage sein soll und sogar DVDs abspielen kann – natürlich nur für die hinteren Plätze. Das verbaute Navigationsgerät ist der Höhepunkt – bringt es einen doch sicher an jedes Ziel und kurbelt zeitgleich die Gewinne durch teure, jährliche Kartenupdates an. Eine Taste für eine Sprachbedienung befindet sich gerne am Lenker des Fahrzeugs. Hierüber wird der vom Autobauer selbstentwickelte Sprachassistent gestartet, welcher gewisse Operationen durchführen kann und darunter auch Telefonate startet, sofern zuvor mühselig die Kontakte vom iPhone zum Infotainmentsystem übertragen wurden. Das Telefonat scheitert aber meist dann, wenn der Sprachbefehl nicht dem richtigen Kontakt zugewiesen werden kann und am Ende doch per Hand ein Kontakt gewählt werden muss. Sprachassistenten haben nun mal so ihre Schwierigkeiten was Aussprache und Betonung angeht. Die angeschlossene 5.1- oder gar 7.1-Soundanlage rundet das Gesamtpaket des Interieurs ab und lässt es als stolzen vierstelligen Preis im Fahrzeugkatalog dastehen. „Das musst du haben!“
Ich will gar nicht sagen, dass die Autobauer keine Ahnung von dem haben was sie für das Fahrzeuginterieur entwicklen – doch es ist noch etwas Luft nach oben. Die ganzen Neuentwicklungen wirken wie Kinderschuhe in die das Auto noch reinwachsen muss. Ich will keinen super, ultra, schnellen 6-Fach-CD-Wechsler haben – ich habe hunderte Alben auf dem iPhone. Ich will kein Navigationsgerät für 2000€ (mehr oder weniger) haben, für was ich nach einem Jahr teure Kartenupdates kaufen muss, um aktuell zu bleiben – ich habe die ganzen Karten stetig und serveraktuell auf meinem iPhone. Und auch brauche ich keine Fläche unterhalb der Armlehne auf der ich Buchstaben und Zahlen draufwischen kann, diese als Geste erkannt werden und anschließend in einen Befehl umgesetzt werden. Will ich Autofahren oder kreative Arbeit leisten? Die Autobauer rücken nicht von ihrem Konzept ab, um sich helfen zu lassen. Wieso auch? Waren die Verkäufe doch bisher immer überdurchschnittlich gut. Stimmt – waren sie. Die Betonung liegt aber auf „waren“, denn mittlerweile leben wir in/als eine/r Generation, die immer smarter denkt. So ist das Auto kein Fortbewegungsmittel mehr, sondern ebenso ein mobiles Unterhaltungszentrum – das verstehen die Autobauer zwar, können es aber nicht umsetzen und wollen auch keine Hilfe annehmen.
CarPlay zeigt klar auf was es ankommt und wie simpel man ein großes Problem durch eine kleine Softwareschnittstelle beseitigen kann/könnte. Aber die Hersteller wehren sich und haben insgeheim Panik davor. Denn einmal in das Interieur gelassen, überdeckt CarPlay das Konzept der Autobauer und macht deren Entwicklung/Weiterentwicklung mehr als überflüssig. Man kann hier sicherlich beide Seiten der Medaille betrachten und seine Meinung dazu haben. Ich sehe das Gesamtkonzept allerdings nur so gut an, wie die Denkweise mit der sie entstanden ist. CarPlay gehört definitv in solch ein Konzept hinein. Doch durch CarPlay baucht es im Interieur nur noch ein dummes, hochauflösendes Touch-Display, eine gute, angebundene Soundanlage und einen Knopf auf dem Lenkrad, der für Siri-Eyes-Free reserviert ist. Genau diese Ansicht stört die Monopoldenkweise der Automobilhersteller. Wieso für jemanden Platz machen und das Feld räumen? Wenn ich heute in ein neues Auto einsteige, dann wirkt es auf den ersten Blick modern, intelligent und teils gewöhnungsbedürftig. Zeitgleich wirkt es aber noch wie ein Automobil mit einem guten, alten Kassettendeck – denn außer einem nostalgischem Dockconnectorkabel macht nichts einen intelligenten Eindruck im Infotainmentbereich.
Wenn man sich den derzeitigen Entwicklungsstatus von CarPlay bei namentlichen Automobilherstellern betrachtet, dann kann man auf der einen Seite nur lachen und auf der anderen Seite zeitgleich nur weinen. Entweder wird die Einbindung der Apple-Technologie komplett abgelehnt oder immer wieder aufs neue verschoben. Wer 2015 ein Automobil mit CarPlay kaufen möchte, der wird es schwer haben. Ford lehnt CarPlay komplett ab und setzt auf Ford-Sync. VW lehnt CarPlay ebenso für das Jahr erstmal stur ab und setzt diese Meinung auch für seine Tochter Audi durch. Mercedes verspricht anfangs eine Updatelösung, um bisherige Infotainmentsysteme auf CarPlay aufzurüsten, rudert aber dann zurück und verneint die Updatelösung. Auch die Einbindung von CarPlay in neue Automobilgenerationen wird verschoben – vielleicht auch über den nächsten Abgrund hinweg. Volvo stellt erst neue Automodelle mit CarPlay vor, belässt es aber dann doch lieber erstmal beim hauseigenen System. BMW schweigt zu dem Thema gleich direkt und alle anderen Hersteller wollen auch nichts von CarPlay hören. Okay, Ferrari hat CarPlay integriert, aber wer kauft sich schon einen Ferrari – außer Eddy Cue vielleicht. Auch der Opel Adam bekam softwareseitig CarPlay nachgeliefert, was nett ist, aber auch eher ein Muss für Opel ist, um überhaupt noch bestehen zu können.
Von den vielen Herstellern (Ferrari, Honda, Hyundai, Mercedes, Volvo, BMW, Chevrolet, Citroën, Ford, Jaguar, Kia, Land Rover, Mitsubishi, Nissan, Opel, Peugeot, Subaru, Suzuki und Toyota) die sich anfangs auf CarPlay warfen, um auf einer Apple-Keynote als die großen, klugen Köpfe der Automobilindustrie dazustehen, sind nur noch wenige übrig, welche man wirklich ernst nehmen könnte. Bedauerlich – denn Werbung funktioniert mit gewissen Themen sicherlich anders. Die versprochenen 2014-Auto-Modelle, welche die Autobauer mit CarPlay ausstatten wollten, dürfen nun bis 2016 warten – man darf gespannt sein und bis dahin die Sanduhr mehrmals umdrehen. Bis „die klugen Köpfe“ verstanden haben, um was es geht, haben es ihnen andere schon lange vorgemacht und sind viele Kilometer voraus. Und dann soll bitte keiner über sinkende Absatzzahlen jammern, die vielleicht genau wegen der CarPlay-Angelegenheit zu Stande kommen – weil es mit Sicherheit auch an technikaffinen Käufern liegt, die CarPlay beim neuen Automobil als Kaufgrund voraussetzen.
Es wird höchste Zeit, dass die Automobilindustrie das Umdenken beginnt, um am Ende als funktionierendes Gesamtkonzept zu überleben. Kehrt den Sand aus dem Getriebe und kommt in die Gänge, denn solch ein Rennen verliert man nur einmal – ein Rückblick auf iTunes und die Musikindustrie sollte genügen.
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45 Gedanken zu „CarPlay – Sand im Getriebe“
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