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Verantwortungs-Ping-Pong mit dem Staat: (a)soziale Hetzwerke?

Heiko Maas

Den von Bundesjustizminister Heiko Maas im März vorgelegten Gesetzesvorschlag zur Bekämpfung von Hasskriminalität und Falschmeldungen in sozialen Netzwerken lehnt Facebook lehnt entschieden ab und warnt vor einem deutschen Alleingang in der gesetzgebung. Eine generelle Debatte um die Zuständigkeiten entbrennt.

Auslöser: Merkel-Selfie

Der Debatte war ein Eilverfahren am Landesgericht Würzburg vorausgegangen, in dem der Kläger Facebook mit einer einstweiligen Verfügung zur aktiven Suche und anschließenden Löschung von rechtswidrigen Inhalten verpflichten wollte. Er hatte durch ein Selfie mit Bundeskanzlerin Merkel im Jahr 2015 einige Berühmtheit erlangt und wurde in dem sozialen Netzwerk anschließend als mehrfach verunglimpft, indem er unter anderem mit den Terroranschlägen in Brüssel und Paris in Verbindung gebracht wurde.

Verunglimpfung nach Merkel-Selfie

Hinweis der Redaktion: Die Aussagen auf dem Foto entsprechen nicht der Wahrheit.

Keine Pflicht zum aktiven Suchen und Löschen?

Die E-Commerce Richtlinie der EU verpflichte Host-Provider wie Facebook nicht zur aktiven Suche. Plattformbetreiber haften gemäß § 10 TMG für fremde Inhalte lediglich gemäß dem sogenannten „Notice-and-take-down“-Verfahren: Danach ist er zur Löschung rechtswidriger Inhalte verpflichtet, sobald er davon in Kenntnis gelangt – etwa, weil dieser von einem Nutzer gemeldet wurde.

Eine aktive Suchpflicht für Facebook sah das LG Würzburg Anfang März jedoch nicht, da das Unternehmen weder Täter noch Teilnehmer sei. Es liege also weder ein „Behaupten“ noch ein „Verbreiten“ durch die Plattform selbst vor. Außerdem habe sich das soziale Netzwerk die rechtswidrigen Beiträge der Nutzer nicht zu Eigen gemacht, da diese nicht inhaltlich verändert wurden.

Die Debatte darum, in welchem Umfang soziale Netzwerke selbständig tätig werden müssen, um rechtwidrige Inhalte wie Persönlichkeitsrechtsverletzungen zu löschen, hat mit dem Urteil aber erst begonnen. Die Richter des LG Würzburg verdeutlichten selbst, dass bei schweren Persönlichkeitsrechtsverletzungen grundsätzlich auch eine Pflicht zum aktiven Suchen und Löschen bestehen könne, wenn dies technisch möglich und zumutbar sei. Die technischen Möglichkeiten und die Zumutbarkeit seien jedoch immer vom Einzelfall abhängig und könnten im Eilverfahren nicht geklärt werden. Wenn man Facebooks technische Möglichkeiten zum Beispiel in der bereits eingesetzten Gesichtserkennungssoftware berücksichtigt, ist nicht auszuschließen, dass der Platformbetreiber in einem Hauptsacheverfahren auch zur aktiven Suche und anschließenden Löschung der verleumderischen Beiträge verpflichtet wird.

Fragwürdiger Gesetzentwurf

Heiko Maas

Genau eine Woche nach der Urteilsverkündung legte Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) den Entwurf für das „Gesetz zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken (Netzwerkdurchsetzungsgesetz)“ vor, der auf netzpolitik eingesehen werden kann. Darin heißt es, Beschwerden von Nutzern würden oft nicht ernst genommen: Auf Twitter sei gerade einmal 1 % der gemeldeten strafbaren Inhalte entfernt worden. Zudem dauere der Überprüfungsprozess viel zu lange.

Der Gesetzesentwurf sieht ebenfalls keine Verpflichtung zur aktiven Suche vor, jedoch soll das bestehende „Notice-and-take-down“-Verfahren beschleunigt und verbessert werden. Demnach sollen sämtliche Kopien des rechtswidrigen Inhalts unverzüglich entfernt oder gesperrt werden.

Hierfür sollen Anbieter in die Pflicht genommen werden, die es ermöglichen, Inhalte öffentlich zugänglich zu machen oder sich in einer geschlossenen Nutzergemeinschaft (gated community) mit anderen auszutauschen, wenn diese in Deutschland mehr als zwei Millionen Nutzer verzeichnen. Anbieter mit journalistisch-redaktionellen Inhalten sind davon ausgenommen. Damit soll das Gesetzt derzeit etwa 10 Anbieter treffen und die größten sozialen Netzwerke abdecken.

Sie sollen ein wirksames und effizientes Beschwerdesystems einrichten, mit dem offensichtlich rechtswidrige Inhalte, bei denen keine vertiefte Prüfung erforderlich ist, binnen 24 Stunden und sonstige rechtswidrige Inhalte binnen einer Woche nach Eingang der Beschwerde gelöscht werden können. In dieser Woche sollen die Anbieter die Möglichkeit haben, den Verfasser um eine Stellungnahme zu bitten und/oder eine externe rechtliche Beurteilung einzuholen. So soll verhindert werden, dass Beiträge – wie derzeit üblich – unter enormem Zeitdruck ohne eine wirkliche Prüfung gelöscht werden. Alle Beteiligten sollen den Bearbeitungsfortschritt außerdem jederzeit transparent einsehen können. In vierteljährlichen Berichten sollen die Anbieter zudem Rechenschaft über ihren Umgang mit den Beschwerden ablegen.

Verstöße gegen diese Pflichten sollen mit bis zu 5 Millionen Euro geahndet werden. Nach § 130 OWiG kann auch gegen den Inhaber des Unternehmens vorgegangen werden. Laut § 30 OWiG kann gegen juristische Personen und Personenvereinigungen sogar eine Geldbuße in Höhe von bis zu 50 Millionen Euro festgesetzt werden.

Facebook als Richter?

Bild: Shutterstock

„Die Meinungsfreiheit schützt in einer lebendigen Demokratie auch abstoßende und hässliche Äußerungen – sogar eine Lüge kann von der Meinungsfreiheit gedeckt sein. Aber: Die Meinungsfreiheit endet da, wo das Strafrecht beginnt. Für strafbare Hetze und Verleumdung darf in den sozialen Netzwerken genauso wenig Platz sein, wie auf der Straße.“

Besonders bei beleidigenden Inhalten ist bei der Einschätzung der Rechtmäßigkeit regelmäßig eine ausführliche Pfüfung und sorgfältige Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit des Beleidigenden und dem Persönlichkeitsrecht des Beleidigten an der Tagesordnung. Der Hauptkritikpunkt des Gesetzesentwurfs liegt darin, dass Facebook und Co selbst entscheiden sollen, was erlaubt ist und was gelöscht werden muss. Dass ausgerechnet der Bundesjustizminister diese Kompetenz in die Hände privatwirtschaftlicher Unternehmen geben will, verwundert. Bayerns Wirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) hinterfragte am 19. Mai gegenüber der dpa offen die Kompetenz der Betreiber:

„Ich kann nicht erkennen, was beispielsweise Facebook dafür qualifiziert, Inhalte daraufhin zu überprüfen, ob sie rechtswidrig sind.“

Erschreckende Guidelindes zeigen: Facebook ist als Internet-Polizei ungeeignet

Maas betonte: „Kein Unternehmen kann ein Interesse daran haben, dass seine Plattform missbraucht wird, um strafbare Hasskriminalität zu verbreiten.“ Wie realitätsfern diese Aussage ist, zeigt sich jedoch schon am Beispiel der Holocaust-Leugnung: Während diese in den USA unter die Meinungsfreiheit fällt, ist sie in 14 anderen Ländern gesetzlich verboten. Aber nur in 4 dieser Länder (Israel, Deutschland, Österreich und Frankreich) werden entsprechende Beiträge auch von Facebook gelöscht – und zwar nur „in Ländern, in denen die Gefahr besteht, gesperrt zu werden,“ erklärt das Unternehmen in seinen Richtlinien für Moderatoren. Ansonsten gilt: Facebook „heißt keine lokalen Gesetze willkommen, welche einer offenen und verbundenen Welt entgegenstehen.“

Ebenso werden beleidigende Äußerungen über Migranten geduldet, denn Facebook will seinen „Nutzern erlauben, eine breite Diskussion über Migranten und Migration zu führen, welche heiße Themen in den kommenden Wahlen darstellen.“ Die beiden Beispiele dürften deutlich machen, dass Facebook nicht die geeignetste Instanz ist, um über die Rechtmäßigkeit von Inhalten zu entscheiden. Getreu dem Motto: „Lästern verbindet“ versucht das Netzwerk, everybody’s darling zu bleiben, statt sich zum unbeliebten Moralapostel zu degradieren.

Facebooks sieht den Staat in der Pflicht

Facebook will die Entscheidung aber auch gar nicht fällen. Schließlich ist eine rechtliche Prüfung mit hohen Kosten verbunden. Das Bundesjustizministerium rechnet damit, dass jedem Anbieter jährlich Kosten in Höhe von etwa 28 Millionen Euro entstehen, berichtet ZDNet. Durch ein Gesetz für den Abbau von Bürokratie sollen die Unternehmen im Gegenzug aber auch entlastet werden. Diese Kosten will das Unternehmen natürlich möglichst gering halten. Mehr Zeit zur Prüfung zur Verfügung zu haben bedeutet also nicht, dass Facebook sich auch mehr Zeit nimmt. Letztlich könnte wieder vieles gelöscht werden, was nicht gelöscht werden müsste, während wahrlich strafbare Äußerung stehen bleiben.

Fraglich ist außerdem, ob die Anbieter sämtliche Kopien der strafbaren Inhalte nicht nur erkennen und löschen, sondern auch deren erneute Speicherung verhindern können.

Nicht zuletzt deshalb hält Facebook die Strafen für viel zu hoch: „Die Höhe der Bußgelder steht außer Verhältnis zu dem sanktionierten Verhalten.“ Die Einschätzung der Rechtmäßigkeit sei außerdem Aufgabe des Staates, entgegnet Facebook in einer Stellungnahme, die der Wirtschaftswoche vorliegt: „Der Rechtsstaat darf die eigenen Versäumnisse und die Verantwortung nicht auf private Unternehmen abwälzen. Die Verhinderung und Bekämpfung von Hate Speech und Falschmeldungen ist eine öffentliche Aufgabe, der sich der Staat nicht entziehen darf.“

Des Weiteren sei das Gesetz „umfassend rechtswidrig,“ kritisiert Facebook: „Der Gesetzesentwurf ist unvereinbar mit dem Europarecht, wirft datenschutzrechtliche wie rechtsstaatliche Bedenken auf und missachtet die Gesetzgebungskompetenz der Länder.“

Letztlich seien die geplanten Maßnahmen auch noch „ungeeignet,“ um Hate Speech und Falschmeldungen zu bekämpfen, gesteht das Netzwerk selbst ein.

Maas konkretisiert: „Auf Deutschland bezogene nationale Regelungen […] können [.] nur der Anfang sein.“ Zumindest in diesem Punkt sind sich Maas und Facebook einig. Das soziale Netzwerk warn ausdrücklich vor einem nationalen Alleingang. Maas hat die Vorschläge an die Europäische Kommission übermittelt und will den Prozess künftig trotz der Einwände auf europäischer Ebene weiter vorantreiben.

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Marcel Gust
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12 Kommentare zu dem Artikel "Verantwortungs-Ping-Pong mit dem Staat: (a)soziale Hetzwerke?"

  1. Jan 30. Mai 2017 um 15:03 Uhr ·
    Ich habe im TMG gerade nachgelesen, von einem „Notice-and-take-down“-Verfahren steht da nichts. Stattdessen wird im Gesetz noch gutes Deutsch verwendet… Was soll dieser andauernde Schwachsinn, für alles Mögliche immer und immer wieder dämliche englische Ausdrücke zu benutzen? Come in and find out…
    iLike 15
    • Marcel Gust 30. Mai 2017 um 18:50 Uhr ·
      Lieber Jan, ich teile deine Einstellung, Anglizismen wenn möglich zu vermeiden. Wenn du meine Artikel häufiger liest, sollte dir das aufgefallen sein. In Einzelfällen kann es jedoch auch sinnvoll sein, einen Begriff mit englischem Ursprung zu verwenden, wenn der englische Begriff z.B weiter verbreitet ist und – wie in diesem Fall – in der überwiegenden Anzahl meiner Quellen vorkommt. Beste Grüße Marcel
      iLike 3
  2. Segafredo 30. Mai 2017 um 15:56 Uhr ·
    es gibt nur 1 Weg: kein FB-Produkt zu nutzen. Seit 5 Jahren habe ich ein Leben ohne Facebook. Seit einem Jahr ohne WhatsApp. Und Leute? Es geht!
    iLike 10
    • inu 30. Mai 2017 um 20:45 Uhr ·
      Da gebe ich Dir voll Recht, Segafredo. Und, was mich angeht, so hatte ich noch nie ein Leben mit FB (& Co.), habe kein solches – und werde ein solches auch niemals haben. Nicht nur aus den in diesem Beitrag aufgeführten Gründen, sonden bereits, weil nun mal gilt: meine Daten gehören: MIR.
      iLike 2
    • iOS u. OSX User 31. Mai 2017 um 05:10 Uhr ·
      Lieber Segafredo ein kleines Beispiel… In der Silvesternacht zu Köln saß ich zuhause vor meinen Mac. Dabei immer ein Fenster zu FB.offen. Ich wußte dank FB.und dank Seiten auf dieser Plattform die oft zu unrecht an den Pranger gestellt werden bereits vor Mitternacht was in Köln abging. Um so mehr war ich verwundert als die öffentlich Rechtlichen ,anerkannten‘ Medien im Deutschsprachigen Raum ausschließlich selbst bis in den 4.Jänner hinein von einer ruhigen Silvesternacht in Köln sprachen. Wir wissen das es nicht so war. Erst wie der Druck in den Sozialenmedien immer größer wurde kamen diese ach so seriösen anerkannten Portale scheibchenweise mit der Wahrheit heraus. Würde es FB.mit den vielen unermüdlichen Nutzern die dort Kommentieren nicht geben hätten Leute wie du nie von solchen Vorfällen erfahren. (Gilt für sämtliche andere Vorfälle auch in dieser Richtung). Das dieser umstand einigen Politdarsteller nicht in den Kram passt liegt nahe.
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  3. Adelheid 30. Mai 2017 um 16:21 Uhr ·
    Es drängt sich der Verdacht auf, dass es hier nicht um das Zurückdrängen von „Hasskriminalität“ (Was soll das bitte genau sein?) geht, sondern darum, politische Gegner mundtot zu machen. Es gibt bereits die Straftatbestände Beleidigung, Verleumdung und Volksverhetzung. Diese konnte man auch vorher schon auf rechtsstaatlichem Wege zur Anzeige bringen. Warum dies nun durch Laienzensur umgangen werden soll, mag jeder für sich selbst bewerten.
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    • LeoBerlin 30. Mai 2017 um 18:34 Uhr ·
      So oft, wie in Facebook-Kommentaren jemand „an die Wand gestellt“ werden oder „brennen“ soll, wahlweise auch“aufgeknüpft“ oder „vergewaltigt“, kämen die Gerichte bei Anzeigen gar nicht mehr hinterher.
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      • Marcel Gust 31. Mai 2017 um 11:48 Uhr ·
        Das reine Löschen ist für den Täter aber keine Strafe. Die Zahl solcher Aussagen verringert sich eben nur, wenn diese auch Konsequenzen haben. Doch die scheut unsere bereits überforderte Judikative.
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      • Adelheid 31. Mai 2017 um 12:13 Uhr ·
        @LeoBerlin: Und das entschuldigt die Selbstjustiz von Laien? Wie soll ein Laie denn beurteilen können, ob eine Äußerung rechtswidrig ist oder nicht? Das Hausrecht von Facebook bleibt hierdurch unberührt; Facebook hatte schon immer das Recht, für sich passende Richtlinien aufzustellen. Dazu braucht es keine staatliche Zensurtruppe… Das diese un gebildet werden soll, lässt andere Motive erahnen. @Marcel Gust: Wer „Täter“ ist und wer nicht, können keine Laien entscheiden, ebenso wenig können diese einfach Sanktionen verhängen. Diese Rechtssprechung nach Gutdünken entspricht der Denkweise des Feudalismus. Das hier gezeigte Rechtsverständnis ist erschreckend…
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      • Marcel Gust 31. Mai 2017 um 22:15 Uhr ·
        @Adelheit: Nur um sicher zu gehen, dass ich nicht falsch verstanden werde: Ich propagiere nicht die Bewertung oder gar Bestrafung durch Laien. Ganz im Gegenteil. Ich persönlich freue mich, dass Facebook (wenn auch eher aus Kostengründen) ablehnt, diese Aufgabe zu übernehmen. Straftaten gehören zur Anzeige gebracht. Es ist im Sinne der Opfer, offensichtliches zügig auszublenden, letztendlich sollten meines Erachtens aber immer Gerichte entscheiden.
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  4. inu 30. Mai 2017 um 20:41 Uhr ·
    Herr Gust, übersetzen Sie bitte „g versuchteeignetste“ ins Deutsche. Dann können wir Sie auch verstehen. Danke.
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    • Marcel Gust 31. Mai 2017 um 11:43 Uhr ·
      Inu, wo bleibt denn Deine Kreativität? ? Ich bin da wohl verrutscht – es sollte natürlich heißen: „dass Facebook nicht die geeignetste Instanz ist, um über die Rechtmäßigkeit von Inhalten zu entscheiden.“ *Hab’s korrigiert. Danke für den Hinweis!
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